Schlösser, Schimmel und sammlerischer Wahnsinn: Der Dokumentarfilm von Rot. Thomas Haemmerli erzählt die unglaubliche Geschichte des Winterthurer Immobilientycoons Bruno Stefanini und gibt Einblicke in das ebenso faszinierende wie widersprüchliche Vermächtnis, das seine Tochter Rot. Bettina Stefanini heute verwaltet.
Herr Haemmerli, Sie haben den Dokumentarfilm «Die Hinterlassenschaft des Bruno Stefanini» gedreht. Warum?
TH: In der Person Stefaninis fand ich verschiedene Themen, die mich umtreiben. Politisch engagiere ich mich für die Bilateralen. Sowie dafür, dass wir unsere Städte energisch verdichten und sehr viel mehr bauen. Stefaninis Vater Giuseppe kam als zwölfjähriger Immigrant aus Italien und buckelte als «Zementbub» beim Bau der Lötschbergbahn Zement den Berg rauf. Bruno Stefaninis Lehrer verhinderte, dass das begabte Kind mit italienischem Vater ins Gymnasium ging. Bruno büffelte dann alleine und machte die beste Prüfung von Winterthur. Als Bauunternehmer hat er später, ähnlich wie Ernst Göhner, das Bauen rationalisiert und mit Tempo billigen Wohnraum für viele erstellt.
Ausserdem sammelte Stefanini rabiat. Kunst, Möbel, Waffen von Hellebarden bis zu Panzern, Objekte historischer Figuren von Napoleons Zahnbürste bis hin zu Kaiserin Sisis Unterhosen. Sowie Schlösser, weil er davon träumte, seine Sammlung eines Tages in ein populäres Museum zu überführen. Dabei überforderten ihn die Massen der Objekte. Denn Stefanini war ein Messie. Genau wie meine Mutter, die eine vollgestopfte Wohnung hinterliess, was ich in «Sieben Mulden und eine Leiche» dokumentierte. Seither interessiert mich das Horterphänomen.
Ihr Vater hinterliess ein gewaltiges Immobilienportfolio – und reichlich Chaos. Warum wollten Sie sein Leben trotz aller Widersprüche auf die Leinwand bringen?
BS: Mir war ein filmisches Portrait meines Vaters ein zentrales Anliegen. Er polarisierte bei Themen wie der Instandhaltung seiner Liegenschaften. Und damit, dass seine Kulturstiftung kaum öffentlich wahrzunehmen war und mit ihrer Steuerbefreiung trotzdem als gemeinwohlorientierte Stiftung galt. Mein Vater fühlte sich in seiner Motivation von der Öffentlichkeit verkannt und wurde scheu.
Paradoxerweise hat sein Rückzug das Interesse an seiner Person nur verstärkt. Halb Winterthur erzählt sich noch heute Stefanini-Geschichten. Für mich war klar, dass die Hintergründe aufgearbeitet werden müssen mit Zugang zum Quellenmaterial. Ich wünschte mir ein umfassendes, unabhängiges Portrait meines Vaters, das seine erfinderische Originalität neben seinen offensichtlichen Schwächen darstellt und gleichzeitig einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Ein solches Projekt barg natürlich ein gewisses Risiko, nicht zuletzt, weil wir das eigene Archiv noch nicht kannten und die Regie künstlerische Freiheit hatte.
Der Film hat viel Humor, war das so geplant?
TH: Auf jeden Fall, das war es. Mein Cutter und ich sind ein eingespieltes Team mit feinem Ridikülitätsdetektor. Damit erzeugt man Witze aus dem Archivmaterial. Dann helfen Protagonisten mit Humor, im Film wird oft gelacht, etwa von Christoph Blocher. Das steckt an. Ich hätte die Stefanini-Saga auch als Tragödie erzählen können, aber wer wollte das sehen? Zu guter Letzt: Meine Haltung gegenüber der Welt ist generell eine ironische, anders lassen sich die Zumutungen nicht aushalten.
BS: Der Stil passt zu meinem Vater, der ein sehr humorvoller Mensch war. Bei seinen Büchern fanden wir Witzesammlungen und an Festen war er oft der Mittelpunkt, der alle unterhalten hat.
Sie beide verbindet nicht nur dieser Film, sondern auch die Mitgliedschaft bei Rotary. Wie haben Sie Ihren Weg in die rotarische Welt gefunden?
TH: Vor rund 25 Jahren verfolgte ich noch eine journalistische Karriere. Als Frankreich-Korrespondent von SRF war der Zugang zu den Clubs grossartig, denn die Pariser haben nicht auf Fremde gewartet. Heute, da unsere Gesellschaft immer stärker in Grüppchen zerfällt, schätze ich den regelmässigen Austausch mit Leuten, die nicht zu meiner Bohème-Bubble gehören .
BS: Ich bin aus Neugierde zu Rotary gekommen. Als ehemalige Naturwissenschaftlerin ist die Neugierde bei mir quasi vorprogrammiert. Die Mischung aus spannenden Persönlichkeiten, Gesprächen und Vorträgen finde ich anregend. Die Diversität bei der beruflichen Ausrichtung der Rotarierinnen und Rotarier schafft immer wieder neue Perspektiven und gibt Impulse für die eigene Arbeit.
Sie leiten heute eine der potentesten Stiftungen des Landes mit Kultur und Immobilien. War für Sie die Hinterlassenschaft ihres Vaters ein Fluch oder ein Segen?
BS: Meine Position bei der Stiftung gibt mir die Möglichkeit, mit dem grossen Potenzial der Hinterlassenschaft meines Vaters etwas nachhaltig Positives anzulegen. Das empfinde ich als eine einzigartige Chance. Mein Vater hatte seinen Nachlass so geregelt, dass fast alles in die Stiftung floss. Damit hat er das Engagement von uns Nachkommen vom Erben entkoppelt. Ich war knapp 50 und hatte mir eine Karriere in Irland aufgebaut, als ich entscheiden musste, ob ich mich für die Stiftung zurück in der Schweiz engagiere. Ich hätte nie zugesagt, wenn ich das nicht als Chance gesehen hätte.
Und bei Ihnen, Herr Haemmerli? War das Erbe eine Chance oder eine Zumutung?
TH: Der zentrale Satz im Film über meine Mutter lautet: «Der eigenen Familie entkommt man nicht.» Lange war mir meine Messiemutter zu chaotisch, mein Vater zu bürgerlich, so dass ich mich distanzierte. Aber es kommt der Tag, an dem man plötzlich Verantwortung übernehmen muss. Und sei es bloss, dass man prüft, ob man ein Erbe annimmt oder ausschlägt. Dazu kommt: Mit dem Älterwerden entdeckt man die tiefen kulturellen und genetischen Prägungen, die man auf den Weg mitkriegt.
Was war das konkret?
TH: Obwohl ich seit meiner Jugend ein militanter Atheist bin, habe ich diese zwinglianische Grundierung, die sich im Arbeitsethos niederschlägt und nicht mildern lässt. Genetisch, fürchte ich, habe ich auch ein wenig etwas vom Hortersyndrom verpasst gekriegt. Allerdings bin ich nicht verhaltensauffällig, da die Tausenden von Musikalben, Filmen und Bücher digitalisiert sind, und 200 Terabyte in zwei Schuhkartons passen.
Frau Stefanini, Sie haben einige Jahrzehnte in Irland gelebt und sich bewusst vom familiären Umfeld gelöst. Was haben Sie dennoch von Ihrer Familie mit auf den Weg genommen?
BS: Ich habe sicher den Willen zur Unabhängigkeit geerbt. Darüber hinaus liebe ich Vielstimmigkeit und eigenwillige Charaktertypen und Denkerinnen. Minimalismus ist nicht so mein Ding.
Zur grossen Perspektive: Wie hat sich Bruno Stefaninis Hinterlassenschaft seit seinem Tod entwickelt? Und wohin steuert sie heute?
BS: Als wir 2018 übernommen haben, stand die Arbeit mit den vernachlässigten Altlasten meines Vaters im Vordergrund. Im Film sieht man unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wie sie die Sammlung registrieren, eingehüllt in Ganzkörperanzüge gegen Schimmel und Sporen. Diese Arbeit ist mittlerweile fast abgeschlossen. Wir gehen heute von rund 100000 Objekten aus. Die Datenbank ist öffentlich einsehbar auf der Plattform «Sammlung digital».
Jetzt geht es darum, das Erbe in die Zukunft zu führen. Im Jahresbericht 2024 haben wir erstmals unsere Finanzen offengelegt. Wir untersuchen, ob sich in der Sammlung Raub- oder Fluchtgut aus der NS-Zeit befindet und eine unabhängige Kommission entscheidet verbindlich über den Umgang mit den Ergebnissen aus den Recherchen. Dieses Vorgehen ist im Kontext von Privatstiftungen weltweit noch einzigartig.
Ähnlich sorgfältig, aber langsamer läuft es mit der Renovation der Immobilien. Schloss Grandson wird aktuell einer Jahrhundert-Renovation unterzogen und soll im März 2026, pünktlich zur 550-Jahr-Feier der Schlacht bei Grandson, wiedereröffnet werden. Beim Brestenberg sind wir noch in der Planungsphase.
Was kommt nach den Altlasten?
BS: Wir setzen auf eine nachhaltig-ambitionierte Organisation, die neue Perspektiven ausprobiert und sich gesellschaftliche Fragen stellt. Wichtig scheint mir dabei, auf das Kulturerbe zu setzen und für eine breite und diverse Gesellschaft einzustehen.
Ein Anliegen sind Teilhabe und das Abgeben von Entscheidungsmacht. Etwa mit dem «Kultur Komitee Winterthur»: Ein zufällig ausgelostes Vergabegremium kann jährlich 400000 Franken an Kulturprojekte in Winterthur vergeben. Mit «Campo» planen wir ein Areal, wo ab 2030 unser Team, unsere ganze Sammlung, lokales Gewerbe und Mietwohnungen zusammenfinden. Das wird ein sehr spezieller Ort, gerade weil es kein Museum ist, das Kulturerbe aber trotzdem überall spürbar sein wird.
Und Sie? Was hinterlassen Sie nach ihrem Tod?
TH: Zwei anständig ausgebildete Kinder, die hoffentlich etwas Sinnvolles für die Gesellschaft leisten. Politisch hoffe ich, mein Scherflein beigetragen zu haben, dass wir in einer Schweiz und einem Europa leben, die regelbasiert prosperieren und weiterhin frei sind. Als Kreativer wünsche ich mir, ein paar Momente eingefangen und so erzählt zu haben, dass sich auch in Zukunft jemand findet, der darin etwas Brauchbares entdeckt und sich amüsiert.
Die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG) ist eine gemeinnützige, politisch und religiös unabhängige Stiftung mit Sitz in Winterthur. Sie wurde 1980 durch Bruno Stefanini gegründet und hat heute eine doppelte Kernaufgabe: die Sammlungstätigkeit und die Förderungstätigkeit. Die SKKG finanziert ihre Ausgaben aus einem Anteil der Immobilienerträge aus dem von Bruno Stefanini aufgebauten Immobilienportfolio, das nachhaltig und sozial verantwortungsvoll durch die Tochtergesellschaft Terresta verwaltet wird. Stiftungsratspräsident ist Thomas D. Meier, Direktorin ist Bettina Stefanini (RC Winterthur). Der Film «Die Hinterlassenschaft des Bruno Stefanini» von Rot. Thomas Haemmerli (RC Zürich-Nord) lief im Frühling 2025 in den Schweizer Kinos, in einer Kurzfasssung auf SRF. Er findet sich auf der Schweizer Streamingplattform www.filmingo.ch. |