Uhren und unser ewiges Streben nach Kontrolle

mánudagur, 17. febrúar 2025

vmn

Zeit: Wir messen sie, takten sie, jagen ihr hinterher – und doch entwischt sie uns immer wieder aufs Neue.

Das unfassbare Konzept «Zeit», das unser Leben steuert, wird seit Jahrtausenden von Menschen erforscht, gemessen und in Form von Uhren sichtbar gemacht. Doch was ist Zeit eigentlich? Philosophen haben diese Frage seit Jahrhunderten erörtert, und obwohl wir die Zeit vielleicht nie vollkommen verstehen werden, haben wir im Laufe der Geschichte erstaunliche Methoden entwickelt, um sie zu messen und zu begreifen. Besonders die Schweizer Uhrenindustrie hat durch ihre unvergleichliche Präzision und Kunstfertigkeit Massstäbe gesetzt, die weit über das blosse Ablesen der Zeit hinausgehen.

Die philosophische Dimension der Zeit

Zeit ist ein allgegenwärtiges Phänomen, aber dennoch bleibt sie eines der grössten Mysterien unserer Existenz. Für Aristoteles war die Zeit untrennbar mit der Bewegung verbunden – sie existiert nur dort, wo Veränderung stattfindet. Er beschrieb sie als eine Art Mass, mit dem wir Veränderungen in der Welt wahrnehmen. Interessant ist, dass Zeit laut Aristoteles ohne Bewegung und Veränderung nicht existieren kann: Keine Sonne, die aufgeht und untergeht, kein Wasser, das fliesst, keine Uhr, die tickt – und schon gibt es keine Zeit. Dieses Denken hat sich tief in unsere kulturellen Vorstellungen von Zeit eingebrannt und beeinflusst, wie wir sie auch heute noch verstehen: als etwas, das unaufhaltsam voranschreitet und das wir mit Uhren messen können.

Die alten Griechen hingegen, allen voran die Philosophen Heraklit und Pythagoras, sahen die Zeit als etwas Zyklisches an. Alles im Universum, so glaubten sie, folgte einem ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen, von Leben und Tod. Diese zyklische Sichtweise der Zeit steht im Gegensatz zu der westlichen, linearen Vorstellung, in der alles einen Anfang und ein Ende hat. Auch viele östliche Philosophien, wie der Buddhismus, betrachten die Zeit als einen wiederkehrenden Prozess, der eng mit dem Konzept der Wiedergeburt verbunden ist.

Mit der Aufklärung kam eine neue Perspektive auf die Zeit hinzu. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant betrachtet die Zeit nicht mehr als etwas, das unabhängig von uns existiert, sondern als eine Struktur unseres eigenen Geistes. Für Kant existiert Zeit nur, weil wir sie wahrnehmen. Sie ist keine Eigenschaft der Aussenwelt, sondern eine Art Linse, durch die wir die Welt sehen. Ohne diese Linse könnten wir die Welt um uns herum nicht verstehen – wir könnten keine Abläufe erkennen, keine Ursachen und Wirkungen wahrnehmen.

Im 20. Jahrhundert brachte der französische Philosoph Henri Bergson eine revolutionäre Idee ins Spiel. Er unterschied zwischen der messbaren, mechanischen Zeit und der «gelebten Zeit». Die mechanische Zeit, so Bergson, ist die, die wir auf Uhren ablesen – sie ist linear, objektiv und für alle gleich. Die gelebte Zeit hingegen ist subjektiv: Sie dehnt sich aus, sie schrumpft, sie vergeht schnell, wenn wir glücklich sind, und quält uns, wenn wir leiden. In Bergsons Sichtweise widersprechen sich diese beiden Arten von Zeit, und doch existieren sie nebeneinander. Während die mechanische Zeit uns hilft, den Alltag zu strukturieren, erleben wir die gelebte Zeit auf einer tieferen, emotionalen Ebene.

Diese duale Sichtweise der Zeit prägt bis heute unser Verständnis: Einerseits haben wir das Bedürfnis, die Zeit in Sekunden, Minuten und Stunden zu messen, sie zu kontrollieren und in den Griff zu bekommen. Andererseits wissen wir, dass Zeit auch etwas Flüchtiges ist, das sich allzu oft unserer Kontrolle entzieht. Uhren, besonders mechanische Uhren, symbolisieren genau diese Dualität. Sie sind präzise Werkzeuge, die uns die Illusion geben, Zeit bändigen zu können, während sie uns gleichzeitig an ihre Vergänglichkeit erinnern.

Die Geschichte der Uhr – Ein Streben nach Präzision

Die Entwicklung der Zeitmessung spiegelt das menschliche Bedürfnis wider, die ungreifbare Zeit festzuhalten und zu ordnen. Schon in der Antike versuchten Kulturen auf der ganzen Welt, die Zeit in Stunden und Minuten zu messen, um das Leben besser organisieren zu können. Die ersten Methoden zur Zeitmessung waren stark an die Natur gebunden. Die alten Ägypter nutzten einfache Schattenwerfer, um die Zeit anhand der Bewegung der Sonne zu bestimmen. Diese frühen Sonnenuhren hatten jedoch den Nachteil, dass sie nur bei Tageslicht funktionierten und ihre Genauigkeit je nach Jahreszeit stark variierte.

Ein weiterer wichtiger Meilenstein war die Erfindung der Wasseruhr im 16. Jahrhundert vor Christus. Wasseruhren waren unabhängig vom Sonnenlicht und ermöglichten eine kontinuierliche Messung der Zeit. Sie bestanden aus einem Gefäss, aus dem Wasser in einem gleichmässigen Fluss ablief, während die verbleibende Menge die verstrichene Zeit anzeigte. In Griechenland wurden solche Wasseruhren sogar vor Gericht verwendet, um die Redezeiten zu begrenzen – daher stammt die noch heute gebräuchliche Redewendung «Die Zeit ist abgelaufen».

Im Mittelalter erfolgte der nächste grosse Entwicklungsschritt: Die mechanische Uhr wurde erfunden. Mit ihrer Hilfe konnte die Zeit präziser und unabhängig von Tageslicht und Wetterbedingungen gemessen werden. Die ersten mechanischen Uhren waren in Türmen grosser Städte installiert, um der gesamten Bevölkerung Zugang zur Zeit zu ermöglichen. Ihr Schlag bestimmte fortan den Rhythmus des Lebens – von den Gebetszeiten in den Klöstern bis zu den Marktöffnungen und Gerichtsverhandlungen.

Im 14. Jahrhundert revolutionierte die Erfindung der Hemmung – ein Mechanismus, der die gleichmässige Bewegung eines Rades in kleinen Schritten unterbricht – die Uhrenherstellung. Dadurch wurde es möglich, die Zeit nicht nur grob, sondern in kleinen Einheiten wie Stunden und Minuten zu messen. Diese Entwicklung bereitete den Weg für tragbare Uhren.

Die Miniaturisierung der Uhren, insbesondere die Entwicklung des Federantriebs im 16. Jahrhundert, ermöglichte schliesslich die Herstellung der ersten tragbaren Zeitmesser – der Taschenuhren. Mit ihnen konnten Menschen zum ersten Mal die Zeit immer bei sich tragen. Diese Uhren waren jedoch noch Luxusgegenstände, die sich nur wohlhabende Bürger leisten konnten.

Im 18. Jahrhundert wurde die Uhr noch präziser, insbesondere durch die Einführung des Pendels als Antrieb durch den niederländischen Wissenschaftler Christiaan Huygens. Seine Pendeluhr war so genau, dass sie nur um etwa eine Minute pro Woche abwich. Diese Genauigkeit revolutionierte die Zeitmessung in Europa und legte den Grundstein für die moderne Uhrmacherkunst.

Die nächste grosse Revolution kam im 20. Jahrhundert mit der Einführung der Quarzuhr. Diese neuen Uhren basierten auf den elektrischen Schwingungen eines Quarzkristalls und waren extrem genau. Quarzuhren machten mechanische Uhren kurzfristig nahezu überflüssig und ermöglichten die Massenproduktion günstiger Uhren. Doch die Liebe zu mechanischen Uhren kehrte bald zurück, insbesondere durch die Bemühungen der Schweizer Uhrenindustrie, die auf Qualität und handwerkliche Perfektion setzte.

Die Schweiz – Ein Synonym für Perfektion

Kein Land wird so sehr mit der Uhrmacherkunst in Verbindung gebracht wie die Schweiz. Seit dem 16. Jahrhundert, als Genfer Goldschmiede aufgrund von Jean Calvins Verbot von Schmuck neue Wege suchten, entwickelte sich die Uhrenherstellung hier rasant. Was als handwerkliche Notlösung begann, führte dank technischer Innovationen und aussergewöhnlicher Präzision zur weltweiten Führungsposition der Schweiz in der Uhrenindustrie. Heute stammen die wertvollsten Uhren der Welt von Schweizer Marken wie Rolex, Patek Philippe und Omega.

Mit einem Umsatz von mehr als 24 Milliarden Franken im Jahr 2022 und einem globalen Marktanteil von rund 4 Prozent des Schweizer BIP ist die Branche eine tragende Säule der Exportwirtschaft. Und die Schweizer Uhrenindustrie ist damit ein entscheidender Wirtschaftszweig des Landes. Trotz globaler Herausforderungen wie Inflation oder geopolitischer Unsicherheiten bleibt die Nachfrage nach Schweizer Uhren stark, insbesondere im Luxussegment. Märkte wie die USA und Asien, allen voran China und Indien, zeigen kontinuierliches Wachstum. Indien, das kürzlich in den Fokus der Branche rückte, wird als neuer Wachstumsmarkt gehandelt, da die Mittelschicht des Landes immer mehr Interesse an Luxusgütern zeigt.

Doch der Weg dorthin war keineswegs geradlinig. Die Uhrenbranche erlebte im 20. Jahrhundert dramatische Tiefpunkte, wie die Quarzkrise der 1970er Jahre, in der billige batteriebetriebene Uhren aus Asien der Schweizer Handwerkskunst stark zusetzten. Die Schweizer Hersteller reagierten, fokussierten sich stärker auf Qualität und Exklusivität und konnten sich so an der Spitze halten. Heute ist «Swiss Made» nicht nur Synonym für Präzision, sondern auch für Innovation und Nachhaltigkeit. Gerade in den letzten Jahren hat die Branche verstärkt in ökologische Initiativen investiert und setzt zunehmend auf recycelte Materialien und ressourcenschonende Produktionsmethoden.

Die Deloitte-Studie zur Schweizer Uhrenindustrie von 2023 verdeutlicht diese Trends. Während die Exporte in etablierte Märkte wie die USA und China stark bleiben, rückt zunehmend Indien in den Fokus. Die wachsende Mittelschicht des Landes zeigt ein enormes Interesse an Luxusuhren, was Indien zu einem der am schnellsten wachsenden Märkte für die Schweizer Uhrenindustrie macht. Gleichzeitig steht die Branche vor neuen Herausforderungen, darunter der Mangel an qualifiziertem Personal und die Notwendigkeit, nachhaltiger zu produzieren.

Die Studie zeigt auch, dass Konsumenten weiterhin den physischen Kauf vorziehen, besonders im Luxussegment. Obwohl der E-Commerce weltweit wächst, bevorzugen viele Käufer das persönliche Erlebnis in Flagship-Stores oder bei exklusiven Uhrenmessen. Die Schweizer Uhrenindustrie reagiert darauf, indem sie ihre Präsenz im stationären Handel verstärkt und gleichzeitig auf innovative Verkaufskonzepte wie Pop-up-Stores setzt.

Während mechanische Uhren weiterhin das Herzstück der Schweizer Uhrenindustrie bleiben, geht der Trend hin zu Innovationen und Nachhaltigkeit. Viele Marken experimentieren mit neuen Materialien und digitalisierten Produktionsprozessen, um den wachsenden Anforderungen der Kunden gerecht zu werden. Nachhaltigkeit spielt dabei eine immer grössere Rolle, besonders bei jüngeren Konsumenten, die Wert auf umweltfreundliche Produkte legen.

Gleichzeitig erlebt die Branche einen wahren Boom im Bereich des Secondhand-Marktes. Besonders Sammler und Investoren sehen in gebrauchten Uhren ein lukratives Geschäft, da viele Modelle auf dem Sekundärmarkt deutlich teurer gehandelt werden als beim Erstverkauf. Uhrenmessen und Auktionen spielen eine entscheidende Rolle, um diesen Markt zu befeuern, und immer mehr Marken beteiligen sich an dieser wachsenden Branche.

Die Deloitte-Studie zeigt, dass die Zukunft der Uhrenindustrie in der Kombination von Tradition und Innovation liegt. Während neue Märkte wie Indien immer wichtiger werden, bleibt die Verbindung von Handwerkskunst und modernster Technologie das Erfolgsrezept der Schweizer Uhrenhersteller.

Die Zeit in unseren Händen

Zeit bleibt ein Mysterium – sie fliesst unaufhaltsam und wir können sie nicht aufhalten. Doch Uhren, ob mechanisch oder digital, geben uns das Gefühl, sie zumindest im Griff zu haben. Die Schweizer Uhrenindustrie hat es geschafft, dieses Gefühl der Kontrolle mit Luxus und Präzision zu verbinden. Ihre Uhren sind mehr als nur Zeitmesser: Sie sind Kunstwerke, Statussymbole und technologische Meisterleistungen. Sie erinnern uns daran, dass die Zeit vielleicht vergeht, aber dass wir dennoch die Macht haben, jeden Moment zu gestalten. 


Die astronomische Uhr von Prag (Foto: iStock)