Ein Stabschef, der Menschen und Sprachen gern hat

fimmtudagur, 9. janúar 2025

Denise Lachat

Die Governors des Distrikts 1990 können auf die Unterstützung einer Stabschefin oder eines Stabschefs zählen, eine Funktion, die die beiden anderen Distrikte von Rotary Schweiz/Liechtenstein nicht kennen. Wir haben uns mit dem derzeitigen Stabschef von René-Marc Blaser, Governor für das Jahr 2024/25, unterhalten: Guy Constantin vom RC Sion.

Guy Constantin ist „der Mann mit der blauen Brille“. So nennt man ihn seit dem Tag, an dem er sich in dieses fröhliche, etwas extravagante Brillengestell verguckt hat, dessen Fassung einem Bergrelief gleicht. Guy empfängt uns mit einem warmen Lächeln. Schnell wird klar, dass der Begriff „extravagant“ nur für die Brille gilt. Guy ist ein ruhiger und diskreter Mensch, der in seiner Jugend sogar eher schüchtern war, wie er uns bei einem Cappuccino anvertraut.

Frühe Affinität zu Sprachen

Diskretion steht einem offenen Geist natürlich in keiner Weise entgegen. Diese Weltoffenheit wurde ihm schon in die Wiege gelegt: Sein Vater betrieb in Anzère (VS) ein Sportgeschäft und empfing Kunden aus der ganzen Welt, die den Charme der Walliser Berge erleben wollten. So hörte der kleine Guy „ sämtliche Sprachen “, während er im Geschäft mithalf, und auch später, als er als Skilehrer tätig war. Er tauchte in die Welt der Sprachen ein, indem er Schweizerdeutsch in einem Studentenwohnheim in Zürich, Deutsch in Lindau (Deutschland) und Englisch in Brighton lernte. Italienisch war stets ebenfalls präsent, da er in den Sprachkursen immer auch mit Tessinerinnen und Tessinern zusammen war. Guy sagt im Rückblick, er sei mit Sprachen in Berührung, seit er laufen könne.

Wehmütig denkt der kontaktfreudige Guy an seine sieben Jahre bei Swissair am Flughafen Zürich zurück: „Die Kollegen kamen von überall her“. Diese positive Erinnerung kontrastiert mit seinem Einstieg in die Berufswelt, den er nach seinem Abschluss an der Handelsschule in Sitten bei der Credit Suisse am prestigeträchtigen Paradeplatz in Zürich absolvierte. Er habe nur wenige Monate gebraucht, um zu erkennen, dass die Welt der Banken nichts für ihn sei, sagt er.

Sprung in die Übersetzungsbranche

Neben seiner Anstellung bei Swissair und seiner Ausbildung zum Marketingexperten am SAWI in Zürich wurde Guy für seinen besten Freund aus dem Wallis, der inzwischen als freiberuflicher Werbetexter arbeitete, bei Werbeagenturen vorstellig. Eines Tages entdeckte er einen massiven Rechtschreibefehler auf einem BMW-Plakat, kontaktierte die Marketingleiterin und riet ihr, den Übersetzer zu wechseln. Bingo! Es war der Anfang einer abenteuerlichen Reise durch die Übersetzungs- und Verlagsbranche, die Guy noch heute in vollen Zügen geniesst. 1992 schlossen sich die beiden Freunde zusammen: Guy übersetzte, sein Freund lektorierte. Später gründete Guy mit anderen Partnern weitere Agenturen. Er erinnert sich gerne an die gute alte Zeit, als die Nachfrage so hoch war, dass Tag und Nacht gearbeitet werden musste. Heute führt er die Agentur textocreativ. Diese Übersetzungsagentur, die er 2014 in Sitten gegründet hat, hat mittlerweile auch Niederlassungen in Zürich und Epalinges bei Lausanne. Darauf ist Guy stolz, denn er ist vom Konzept der Nähe zum Kunden überzeugt und pflegt in einer immer stärker digitalisierten Zeit gerne einen menschlichen Ansatz in seinem Beruf. Textocreativ beschäftigt fünf Mitarbeiterinnen und arbeitet mit rund 30 Freelancern für Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch zusammen.

Netzwerk dank Rotary

Die Goldenen Jahre sind passé, die künstliche Intelligenz hat Einzug gehalten. Aber das Geschäft läuft gut. Guy war seiner Heimat Wallis während mehr als drei Jahrzehnten zwar ein wenig untreu, kehrte aber 2009 der Liebe wegen dorthin zurück. Um sein Netzwerk wieder aufzubauen, konnte er auf die Unterstützung von Rotary zählen, auf das ihn zwei Freunde aus dem Wallis aufmerksam gemacht hatten. Nachdem er 2014 dem RC Sion beigetreten war, war Guy neun Jahre lang für die Clubbriefe zuständig, seit  2020 ist er Clubsekretär. Seit Juli 2024 ist der 60-Jährige zudem Stabschef des derzeitigen Governors des Distrikts 1990, René-Marc Blaser. Vor vier Jahren entschied sich Guy, sein Arbeitspensum auf 80 Prozent zu reduzieren, was ihm mehr Zeit für seine Rolle als Stabschef lässt.

Unternehmer mit sozialer Ader

Wer als Stabschef erfolgreich arbeiten will, sollte kontaktfreudig und diplomatisch sein; Zweisprachigkeit ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Guy fällt es nicht schwer, diese Punkte zu erfüllen, zumal er sagt, dass er „ Menschen wirklich mag“. Es verwundert daher nicht, dass er mit Freude „Gutes tut“, indem er sich bei Rotary engagiert. Eine Lebenseinstellung, die er auch im Alltag pflegt: „Wenn ich der kleine Sonnenstrahl sein kann, der jemandem den Tag verschönert, umso besser“. Guy hat eine "soziale Ader" wie sein Grossvater und sein Vater, die sich für die SP engagierten, ohne selbst jedoch einer politischen Partei anzugehören.

Seine Amtszeit als Stabschef ist auf ein Jahr begrenzt, da jeder Governor seinen Stabschef selbst auswählt. Grundsätzlich stammt dieser aus den Reihen seines Clubs. Warum also hat René-Marc Blaser keinen Chef des RC Lausanne gewählt? Er fand schlichtweg kein passendes Profil. So wandte er sich an Guy, seinen Jugendfreund aus der Sekundarschule in Sitten. Guy sagt, er habe keinen Moment gezögert, als René-Marc ihn anfragte: „Er ist sehr kompetent, zuverlässig und gut organisiert“. So engagierte er sich gerne: "Wenn ich ja sage, bin ich immer voll dabei".

René-Marc ist froh um die Unterstützung, die er von Guy erhält. Und wenn man sich seit fast einem halben Jahrhundert kennt, reichen wenige Worte, um sich zu verstehen. „Wir schätzen uns gegenseitig, ich kann mich auf ihn verlassen, und er war wirklich eine wertvolle Hilfe bei der Organisation der grossen Veranstaltungen im Distrikt 1990", bilanziert René-Marc.

Was tut ein Stabschef?

Guy Constantin nimmt an allen Sitzungen des Distriktvorstands 1990 teil und organisiert zusammen mit dem Governor René-Marc Blaser die drei grossen Veranstaltungen des Distrikts. Dabei handelt es sich um das PELS, die Uni und die Distriktversammlung sowie die Amtsübergabe. In der Praxis bedeutet dies, dass er sich Gedanken darüber macht, welche Themen diskutiert, welche Redner eingeladen und welche Inhalte behandelt werden sollen, wo die Veranstaltung stattfinden und was gegessen werden soll. Bei der Uni, die im CHUV in Lausanne stattfand, wählte Guy beispielsweise unter anderem das Menü und die Weine aus.

Alles in allem hat der Stabschef eine Scharnierfunktion zwischen dem Governor und der Distriktsekretärin Valérie Schwarz, die sich unter anderem um den administrativen Teil des Distriktslebens kümmert. Während René-Marc Blaser auf das Tandem aus Guy Constantin und Valérie Schwarz setzt, stellen andere Governors ein ganzes Team von Helfern für das Jahr zusammen oder bilden Gruppen für die Organisation einzelner Veranstaltungen.

Die Distrikte 1980 und 2000 wiederum kennen die Funktion des Stabschefs überhaupt nicht und organisieren sich eher über Teams oder übertragen mehr Verantwortung an ihre Sekretariate. Ursula Gervasi, Sekretärin des D 2000, bezeichnet ihr Sekretariat als Stabsstelle und fügt mit einem Schmunzeln hinzu, dass Rotary eben auch das sei: „Rotary funktioniert überall ein wenig anders, jeder Distrikt oder Club hat seine eigene Art“.

Rot. Guy Constantin, "Der Mann mit der blauen Brille", läutet die Sitzung ein. Bild: Jérémie Blaser