Netto-Null: Ein entscheidender Weg für KMU in der Schweiz

föstudagur, 5. júlí 2024

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Netto-Null ist in aller Munde. Die Stadt Zürich plant im Gebiet Binz/Alt-Wiedikon ein erstes «Netto-Null-Quartier», die ETH will ihre «Treibhausgas-Emissionen bis 2030 signifikant reduzieren» und auch die Eidgenossenschaft ist vor einem Jahr mit dem «Klima- und Innovationsgesetz» auf den Zug aufgesprungen. Doch was bedeutet «Netto-Null-Emissionen» eigentlich? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für kleine und mittlere Unternehmen? Wir haben mit Gloria Pozzi, Mitglied im Rotary eClub 2000, und ihrem Geschäftspartner Beat Stemmler gesprochen.

Liebe Gloria, vielleicht erklärst Du uns zu Beginn, worum es bei Netto-Null überhaupt geht?

Gloria Pozzi (GP): Erinnern wir uns kurz zurück: Im Dezember 2015 fand in Paris die UN-Klimakonferenz statt. Die 195 Vertragsparteien haben sich damals darauf geeinigt, die globale Erderwärmung «deutlich unter» zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen; idealerweise wollte man sogar eine Begrenzung auf 1,5 Grad erreichen. Um diese Klimaziele einzuhalten, müsste die weltweite Staatengemeinschaft um die Mitte des 21. Jahrhunderts CO₂-Neutralität, um 2070 Treibhausgasneutralität garantieren. Parallel dazu müssten die Treibhauskonzentrationen der Atmosphäre wieder gesenkt werden; dies geschieht über negative Emissionen. Wenn entweder keine Treibhausgase in die Atmosphäre emittiert werden oder die Emissionen vollständig durch negative Emissionen ausgeglichen werden, wenn es also insgesamt zu keinem Konzentrationsanstieg der Gase kommt, dann herrscht Treibhausgasneutralität. 

Beat Stemmler (BS): In anderen Worten: Netto-Null bedeutet, dass die Menge der Treibhausgasemissionen, die in die Atmosphäre gelangen, durch Massnahmen zur Reduktion oder Entfernung dieser Gase vollständig ausgeglichen wird. Alle durch menschliche Aktivitäten verursachten Emissionen werden entweder vermieden oder durch natürliche oder technologische Prozesse wie Aufforstung, Bodenmanagement oder CO₂-Abscheidung und -speicherung kompensiert, sodass die Gesamtbilanz der Emissionen auf Null sinkt. Das Ziel von Netto-Null ist es, den Klimawandel zu stoppen, indem keine zusätzlichen Treibhausgase mehr zur Erwärmung der Erde beitragen.

Die Länder der Erde haben sich auf Netto-Null geeinigt, Städte und Kantone entwickeln spezielle Konzepte. Wie können auch kleine und mittlere Unternehmen zur Erreichung der Klimaziele beitragen?

GP: Die Auseinandersetzung mit dem Konzept des Netto-Null-Ziels gewinnt für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in der Schweiz zunehmend an Bedeutung. Diese Entwicklung ist nicht nur auf den wachsenden ökologischen Druck zurückzuführen, sondern auch auf die steigende Erwartungshaltung von Kunden, Investoren und Regulierungsbehörden. Ein neutraler CO₂-Fussabdruck ist für Unternehmen längst kein «Nice to Have» mehr, sondern ein zentrales Kriterium, das einen von den Mitbewerbern unterscheidet. Wer die eigene Klimabilanz nicht zur Chefsache macht und Netto-Null als Modeerscheinung abtut, hat heutzutage fast keine Chance mehr.

Was rätst Du kleinen und mittleren Unternehmen ganz konkret?

BS: Am Anfang jeder Auseinandersetzung mit dem Thema steht die Ermittlung der eigenen Ausgangsbilanz. Mithilfe des Greenhouse Gas (GHG) Protokolls lässt sich ermitteln, wie viele Treibhausgase man selbst verursacht. Das GHG Protokoll teilt die Emissionen dabei in drei Bereiche, sogenannte Scopes, ein. 

Scope 1 umfasst direkte Emissionen aus Quellen, die sich im Besitz oder unter der Kontrolle des Unternehmens befinden. Scope 2 bezieht sich auf indirekte Emissionen aus der Erzeugung gekaufter Energie. Scope 3 schliesslich ist der umfassendste und oft der signifikanteste Teil, der alle anderen indirekten Emissionen umfasst, die nicht unter Scope 2 fallen. Dazu gehören Emissionen aus der Beschaffungskette und der Entsorgung von Produkten ebenso wie Geschäftsreisen, Pendelverkehr der Mitarbeiter und mehr.

Für kleine und mittlere Unternehmen ist insbesondere die Analyse von Scope 3 wichtig, da sie oft den grössten Anteil an ihrer CO₂-Bilanz ausmacht. Das Verständnis und die Verwaltung dieser Emissionen können nicht nur zur Reduzierung des ökologischen Fussabdrucks des Unternehmens beitragen, sondern können auch zur Optimierung der Betriebsabläufe und zur Kostensenkung führen. 

Welche Vorteile bringt den Unternehmen die Emissionsbilanzierung darüber hinaus?

BS: Die Durchführung einer Emissionsbilanz kann den Unternehmen gleich in mehrfacher Hinsicht nutzen. Einerseits profitieren sie im Bereich Transparenz und Compliance: Eine detaillierte Emissionsbilanz bietet ein maximales Mass an Klarheit und Offenheit gegenüber Stakeholdern und trägt dazu bei, regulatorische Anforderungen zu erfüllen. Vorteile bringt dieser Schritt auch im Hinblick auf das Risikomanagement: Die Identifikation und der umsichtige Umgang mit Emissionsquellen ermöglichen es Unternehmen, Risiken zu minimieren, die durch zukünftige Regulationen oder durch steigende Preise für Emissionsrechte entstehen würden. Mehr und mehr wird auch von Kundenseite eine Bilanzierung verlangt, und es muss aufgezeigt werden können, ob eine Klimastrategie vorhanden ist. 

Wirkt sich das Engagement in Sachen Netto-Null nicht auch auf die Wettbewerbsfähigkeit aus?

GP: Absolut! Unternehmen, die ihre Emissionen aktiv managen und reduzieren, positionieren sich als Nachhaltigkeitsführer und heben sich auf diese Weise positiv von der Konkurrenz ab. Nicht zuletzt lassen sich mit Hilfe der Emissionsbilanz auch Kosten einsparen: Durch die Identifikation von ineffizienten Prozessen und die Möglichkeit, alternative Ressourcen oder Technologien zu nutzen, können kleine und mittlere Unternehmen mitunter erheblich Ausgaben sparen.

Wenn die Vorteile derart offensichtlich sind, warum sind dann nicht längst alle Unternehmen entsprechend tätig geworden?

BS: Ganz ehrlich: Ich kann es nicht nachvollziehen, wenn Unternehmen da zögern. Wir raten ihnen jedenfalls dringend dazu, punkto Emissionsbilanz aktiv zu werden. Vergessen wir nicht: Wer es versäumt, sich positiv um Umweltschutz zu bemühen, ja wer in Sachen Umweltbewusstsein gar merklich hinterherhinkt, riskiert einen ernstzunehmenden Imageverlust. Dieser kann sich in letzter Konsequenz äusserst nachteilig auf das Kundenverhalten und damit auf die Marktposition auswirken. 

Auch die finanziellen Risiken, die mit Nachlässigkeit in diesem Bereich einhergehen, sind nicht zu unterschätzen: Die Ignoranz gegenüber Emissionsmanagement kann zu unerwarteten Kosten führen, besonders wenn gesetzliche Änderungen plötzlich Investitionen oder Anpassungen erfordern. Durch das Nichtbeachten von Emissionen verpassen Unternehmen letzten Endes die Chance, sich durch Nachhaltigkeit zu differenzieren und möglicherweise Subventionen, Förderungen oder andere finanzielle Vorteile zu nutzen. Bis Juni 2024 beispielsweise beteiligte sich das Bundesamt für Energie mit bis zu 40 Prozent an den Aufwendungen für die Erstellung einer Treibhausgasbilanz.

Dann lautet dein Appell an kleine und mittlere Unternehmen, sich dringend mit dem Thema zu befassen?

BS: Ja, in der Tat. Für kleine und mittlere Unternehmen in der Schweiz ist die Auseinandersetzung mit dem Netto-Null-Ziel und die Implementierung einer detaillierten Emissionsbilanz kein blosser Akt der Compliance, sondern eine strategische Notwendigkeit, die langfristige Vorteile verspricht. Durch proaktives Handeln können nicht nur die Umweltauswirkungen minimiert, sondern auch die betriebliche Effizienz und die Marktposition gestärkt werden. Durch die Science Based Target Initiative (SBTi) besteht auch die Möglichkeit, die Ziele extern beurteilen zu lassen.

Liebe Gloria, lieber Beat, habt vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

 

Zur Person

Mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Versicherungsbranche ist Gloria Pozzi, Mitglied im Rotary eClub 2000, auf die Betreuung lokaler und internationaler Kunden aus den Bereichen KMU und Privatkunden spezialisiert. Als Geschäftsführerin und Mitinhaberin der Strategic Alliances AG, einem führenden Versicherungsbroker, verfügt sie über ein tiefes Verständnis für die komplexen Anforderungen und Bedürfnisse ihrer Kunden.

Beat Stemmler verfügt über einen B.Sc. in Wirtschaftsinformatik sowie einen M.Sc. in Umweltwissenschaften. Von 2006 bis 2009 absolvierte er ein MBA-Studium an der Henley Business School in Henley, Grossbritannien. Er war für grosse Unternehmen als Leiter Umweltmanagement tätig. Bei intep führt er als Geschäftsführer die Standorte Zürich, Berlin und Hamburg.


Rot. Gloria Pozzi