Endlich mal Glück haben, wenn der Karrierefahrstuhl nach oben fährt. Ein glückliches Händchen bei den Aktien wäre auch nicht schlecht. Und natürlich Glück in der Liebe, damit der oder die Richtige ins Leben läuft. Wir alle haben gerne Glück im Leben, besser mehr als weniger. Wer jedoch in der Philosophie nach Rat sucht, wie man dem Glück auf die Sprünge helfen kann, hat auf den ersten Blick vor allem eines: Pech. Die Philosophen, so scheint es, haben es nicht so mit dem Glück.
Schon der erste Philosoph der westlichen Welt, Thales von Milet, war ein echter Pechvogel. Bei einem Spaziergang soll er in Gedanken versunken in den Himmel gestarrt haben. Er übersah eine Grube und plumpste jämmerlich hinein. Ausgerechnet eine Magd beobachtete das Malheur. Der Herr Philosoph halte sich zwar für besonders schlau, weil er über komplizierte Himmelsdinge nachdenke. Er sei aber ganz offensichtlich unfähig, um auf den Weg vor den eigenen Füssen zu achten, so ihr Kommentar. Wie peinlich für einen Mann, der sich selbst für einen der gebildetsten Menschen seiner Zeit hielt.
Die grossen Philosophen nach Thales wie Platon, Aristoteles oder die Stoiker sind sich dann alle darin einig, dass man das eigene Lebensglück besser nicht von Glücksfällen abhängig machen sollte. Um glücklich im Leben zu werden, so Aristoteles, kommt es darauf an, dass unser Leben als Ganzes gelingt. Sein Rat: Wir sollten immer das tun, was wir nach bestem Wissen in Anbetracht der Umstände für gut und richtig halten – völlig unabhängig davon, ob diese Umstände nun glücklich sind oder nicht. Denn wer sein Lebensglück an glückliche äussere Umstände knüpft, macht es zum Spielball des Zufalls. Und das, so Aristoteles, könne nun wirklich niemand ernsthaft wollen.
Klug ist, wer aus den Fehlern anderer lernt und auf guten Rat hört. So auch hier: Das Malheur des Thales und der Rat des Aristoteles liefern bei genauem Hinsehen zwei wertvolle Schlüssel, um Glück im Leben zu haben. Die moderne Glücksforschung hilft uns, den ersten Schlüssel zu entdecken. Dort wurde der englische Begriff «serendipity» für eine Lebenseinstellung geprägt, die Menschen glückliche Zufälle erkennen lässt. Das Wort geht zurück auf ein altes persisches Märchen über die drei Prinzen von Serendip, dem heutigen Sri Lanka.
Die drei Prinzen haben allerlei Abenteuer zu bestehen und lösen dabei selbst die schwierigsten Aufgaben. Wie sie das schaffen? Sie stellen sich wach und aufmerksam allen Situationen und Herausforderungen. Sie sind im besten Sinne «mindful», geistesgegenwärtig, und offen für die Welt mit all ihren unvorhersehbaren Möglichkeiten. Und sie verstellen ihren Blick auf sich und die Welt nicht durch unproduktives Grübeln, überhöhte Selbstbilder und zu enge Erwartungen. Dadurch gelingt es ihnen immer wieder, unerwartete günstige Gelegenheiten beim Schopfe zu packen und sie schnell zu ihrem Vorteil zu nutzen. Der Pechvogel Thales hingegen ist gefangen in seinen hochtrabenden Gedanken und Vorstellungen. Er ist so abwesend mit seiner Aufmerksamkeit, dass er noch nicht einmal die Grube vor den eigenen Füssen sieht. Wie soll so jemand günstige Gelegenheiten im Leben erkennen?
Ob wir Glück im Leben haben, hängt also nicht nur vom Zufall ab. Eine entscheidende Vorbedingung ist, dass wir in der Lage sind, glückliche Gelegenheiten zu erkennen. Aber woran können wir festmachen, ob eine sich eröffnende Gelegenheit tatsächlich glücklich für uns ist? Es gibt die warnenden Beispiele der Lottogewinner, die ihre Millionen verprassen und hinterher ärmer und kränker sind als zuvor. Sie zeigen: Ein vermeintlicher Glücksfall kann das Leben eines Menschen tief unglücklich machen.
In der Begleitung von jungen Führungskräften erlebe ich häufig, wie anspruchsvoll die Unterscheidung sein kann: Plötzlich liegt das Angebot eines Headhunters für die Geschäftsführung eines renommierten Unternehmens auf dem Tisch. Die Peers, das geschmeichelte Ego und nicht zuletzt der Headhunter sagen: DIE Gelegenheit. Aber wird man wirklich glücklich werden im neuen Unternehmen? In der neuen Rolle? Mit deutlich weniger Zeit für die Kinder und letztlich für sich selbst?
Genau hier setzt der Rat des Aristoteles als der zweite philosophische Schlüssel zum «Glück haben» an: Wir sollten uns bei wichtigen Entscheidungen und besonders bei Lebensentscheidungen immer daran orientieren, was unser Leben als Ganzes gelingen lässt. Nachdem wir uns darüber klar geworden sind, sollten wir das tun, was wir nach bestem Wissen für gut und richtig halten. Die Kriterien, was gut für uns ist, liefern also weder der vermeintlich glückliche Zufall noch die Meinungen anderer. Auch ein KI-Algorithmus ist dafür nicht in Sicht. Hier sind wir selbst gefragt: Woran habe ich echte Freude? Selbst wenn mal Zeiten kommen, in denen nicht alles rund läuft. Was liegt mir wirklich am Herzen, und wohin zieht mich meine Sehnsucht? Welches Umfeld brauche ich, um meine Potentiale entfalten zu können? Welche Herausforderungen möchte ich annehmen, um als ganzer Mensch zu wachsen?
Wer allerdings erst in der Entscheidungssituation mit der Selbsterforschung beginnt, wird oft zu langsam und zaghaft sein und viele Gelegenheiten ungenutzt an sich vorbeiziehen sehen. Ein Gespür für Stimmigkeit und Unstimmigkeit im eigenen Leben, um auf das eigene Bauchgefühl vertrauen zu können, ist in der konkreten Situation deutlich hilfreicher und vor allem schneller. Und das kann man lernen. Das bestätigt mittlerweile auch die Persönlichkeitspsychologie.
Übrigens: Den Vorwurf, dass Philosophie ein völlig lebensfernes Unterfangen sei, wollte Thales dann doch nicht auf sich sitzen lassen. Durch Zufall soll er bei seiner Himmelsbeobachtung eine Konstellation der Gestirne entdeckt haben, die den Ertrag der Olivenernte vorhersagbar machte. Als die Konstellation besonders günstig war, mietete er lange vor allen anderen für kleines Geld alle Olivenpressen der Gegend. Und siehe da: Die Ernte fiel in diesem Jahr reichlich aus. Sehr reichlich sogar. Thales konnte quasi jeden beliebigen Preis für die Nutzung der Pressen aufrufen. Der alte Hungerleider schwamm plötzlich in Geld. Und seine Zeitgenossen konnten es nicht fassen. Wie konnte der Philosoph nur so viel Dusel haben! Gefragt, was er denn nun mit seinem Reichtum vorhabe, soll er sinngemäss gesagt haben: «Was interessiert mich das ganze Geld? Mich interessiert die Philosophie. Wenn ich philosophiere, bin ich glücklich. Aber auch Philosophen können Glück haben und reich werden – wenn sie nur wollen.»
Text: Johannes Lober ist Mitgründer und Geschäftsführer des Instituts für Philosophie und Leadership in München. Das gemeinnützige Unternehmen bietet Fortbildungen, Beratung und Retreats für Menschen in oberen Führungspositionen sowie Unternehmerfamilien an. Im Fokus stehen dabei persönliche und existentielle Fragen von Führung. Zu den Kunden des Instituts zählen die Spitzenführungskräfte der BMW AG, der Volkswagen Group aber auch mittelständische Unternehmen wie HIPP oder die Remmers Group. Weitere Informationen unter: leadershipinstitut.de
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