Sprache als Brücke

lunedì 17 marzo 2025

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Sprache ist mehr als ein Mittel zum Zweck – sie verbindet, prägt und verändert die Welt um uns herum. Für Andrea Weber Allenspach, künftige Governorin im Distrikt 2000 und passionierte Sprachpädagogin, ist Sprache ein Instrument, das Brücken baut und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert. Im Interview verrät sie, wie sich unsere Kommunikation gewandelt hat und warum Sprache heute wichtiger ist, denn je.

Andrea, du beschäftigst dich seit Jahren mit Sprache, beruflich ebenso wie privat. Erinnerst du dich an den einen Moment, wo dir klar war: «Das mit der Sprache, das ist mein Ding!»?
An einen speziellen Moment erinnere ich mich nicht. Ich habe aber schon im Gymnasium realisiert, dass ich den Sprach- und Literaturunterricht sehr schätze und dass ich davon für mein Leben profitieren kann. Im ersten und zweiten Gymnasium hatte ich Deutsch, Französisch und Latein, ab der dritten Klasse noch Griechisch und ab der vierten Stufe Italienisch und Englisch im Freifach. 

Es gab später hingegen einen Moment, in dem ich mich in Grund und Boden geschämt habe und dachte, jetzt musst du deinen Beruf an den Nagel hängen, obwohl mir der Fehler weder in Deutsch noch Latein, sondern im Italienischen passiert ist. Als ich einen Gips hatte, habe ich gesagt «Mi sono rotta la legge» (Ich habe das Gesetz gebrochen) statt «Mi sono rotta la gamba» (Ich habe das Bein gebrochen); ich hatte das englische «leg» (Bein) «veritalienisiert».

Mehrsprachigkeit ist ein grosses Thema in der Schweiz. Welche Sprache fühlt sich für dich am meisten nach «Zuhause» an, oder wechselt das je nach Kontext?
Der zürichdeutsche Dialekt und die hochdeutsche Standardsprache sind für mich klar die beiden Sprachen, in denen ich mich am wohlsten fühle. Gewisse Themen lassen sich besser im Dialekt, andere in Hochdeutsch besprechen. Schwierig sind für mich Abende mit Freunden, von denen sie Italienerin und er Engländer ist (beide sprechen kein Deutsch), weil der Wechsel zwischen Englisch und Italienisch für mich nicht einfach ist.

Wie verändert sich Sprache im digitalen Zeitalter? Ist das, was wir auf WhatsApp schreiben, schon eine eigene Sprachform – eine Art neues Dialektgefühl – oder nur Bequemlichkeit?
Im Unterricht am Gymnasium lege ich nach wie vor grossen Wert darauf, dass sich meine Schülerinnen und Schüler gut und souverän auf Hochdeutsch ausdrücken können. Die jungen Leute können recht gut unterscheiden, in welcher Textsorte sie schreiben und an wen ihre Texte gerichtet sind. Ich erhalte daher keine Schreiben im WhatsApp-Stil. Bis jetzt ist es mir noch gelungen, meinen Schülern zu zeigen, dass man auch trotz ChatGPT eigene Texte verfassen können muss.

Dialekte sind Identität – und gleichzeitig gibt es Menschen, die sie bewusst ablegen. Was macht Dialekte so besonders, und warum polarisieren sie mitunter?
Ich habe ehrlich gesagt nie nachvollziehen können, warum es Menschen in Zürich gibt, die sich über den Ostschweizer oder den Basler Dialekt lustig machen. Mir gefallen alle Dialekte. Manchmal finde ich es eine schöne Herausforderung, das zu verstehen, was in einem eher ungewohnten Dialekt gesprochen wird. In diesem Zusammenhang fällt mir eine lustige Geschichte ein. Unser Sohn hat viel Zeit bei seinen Thurgauer Grosseltern verbracht; das hat ein bisschen auf seinen Dialekt abgefärbt. Als er seinen sechsten Geburtstag feierte, wurde er gefragt, wie alt er sei. Stolz antwortete er in allerbestem Thurgauisch: «sexi». Seine Kollegen haben ihn noch wochenlang nach dem Alter gefragt und gelacht.

Leichte Sprache soll Barrieren abbauen, doch viele fürchten, dass dabei Nuancen verlorengehen. Wie schafft man Verständlichkeit, ohne dass eine Sprache an Tiefe verliert?
Ich leite in Niederweningen das Mammutmuseum und habe schon mehrmals einen Anlauf genommen, einen Rundgang in Leichter Sprache zu verfassen. Allerdings habe ich immer schnell aufgegeben, weil ich feststellen musste, dass sich nicht alle komplexen Sachverhalte vereinfacht darstellen lassen. 

Vor Kurzem habe ich eine Gruppe von Asylsuchenden aus Niederweningen durch das Museum geführt; der Besuch erfolgte im Rahmen ihres Deutschkurses. Diese Führung war eine grosse Herausforderung. Dadurch, dass ich nicht nur die einfache Sprache, sondern auch die Ausstellungsobjekte hatte, gelang es mir einigermassen, einige relevante Informationen zu vermitteln.

Ich selbst bin dankbar für sieben Jahre Lateinunterricht – meine Neffen indes haben’s gehasst… Wie relevant ist die Ursprache Europas heute noch?
Als begeisterte und begeisternde Lateinlehrerin finde ich diese Sprache immer noch in vielem nützlich fürs Leben. Selbstverständlich kann man aber auch ein erfolgreiches und glückliches Leben ohne Lateinkenntnisse führen. 

Viele grammatische Phänomene, die fürs eigene Schreiben oder für das Erlernen von Fremdsprachen nützlich sind, kann man im Lateinunterricht anschaulich zeigen. Der Grund dafür liegt wohl darin, dass man diese Phänomene dort Schritt für Schritt erlernt. In einer Lektion kommen beispielsweise die Adverbien mit ihren Suffixen vor (Mulier clare loquitur), die man auf Französisch (La femme parle clairement), Italienisch (La donna parla chiaramente) oder Englisch (The woman speaks clearly) auch an die Adjektive anhängen muss. Diese gibt es im Deutschen jedoch nicht (Die Frau spricht deutlich). In einer anderen Lektion kommt zuerst das Perfekt, danach das Imperfekt. Lernen die Schüler und Schülerinnen die Formen, lernen sie auch deren Funktionen. Wir schauen dann, ob die beiden Vergangenheitstempora in Deutsch, Französisch und Englisch gleich oder anders funktionieren als im Lateinischen.

Sprache ist mächtig – und manchmal auch heikel. Gendersternchen, Doppelpunkte, neutrale Formen: Wie viel Veränderung braucht eine Sprache – und wo beginnt die Übertreibung?
Schon im Studium habe ich im Rahmen eines Seminars eine Arbeit über das unterschiedliche Gesprächsverhalten von Frauen und Männern geschrieben. Seither bemühe ich mich, nicht nur von Schülern und Lehrern zu reden, sondern erwähne auch die Schülerinnen und Lehrerinnen. Die Bezeichnung «Lehrerzimmer» hingegen stört mich nicht, sie ist historisch gewachsen. Was mich aber sehr stört, sind der Genderstern und der Schrägstrich.

Vor einiger Zeit habe ich mit zwei Juristen die Statuten des Gemeinschaftshofes Niederweningen, einer Genossenschaft, überarbeitet; ich bin dort Mitglied der Verwaltung. Wir haben bei allen männlichen Formen die weiblichen ergänzt. An der Generalversammlung wurden die Statuten dann in der neuen, erweiterten Form angenommen. Aber ehrlich gesagt: Einige Passagen kamen mir doch sehr schwerfällig vor. Wenn im selben Satz «die Bewohner und Bewohnerinnen» und «die Genossenschafter und Genossenschafterinnen» erwähnt werden, ist das wirklich sperrig.

Maschinen lernen immer besser, zu übersetzen. Wird Künstliche Intelligenz Sprache irgendwann überflüssig machen? Oder gibt es etwas, das nur Menschen mit Sprache anstellen können?
Gespräche und Debatten benötigen nach wir vor Menschen, die sich gewandt ausdrücken können. Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir über ChatGPT ein spannendes oder berührendes Gespräch führen könnten. In Debatten kann man sich von einem Sprach-Chat-Bot gut formulierte Argumente liefern, in der freien Aussprache muss man allerdings in der Lage sein, diese geschickt einzusetzen. 

Es gibt sicher jetzt schon schriftliche Textsorten, für die KI passable Texte liefert. Aktuell sind diese aber oft zu enthusiastisch oder zu austariert. 

Vor einem knappen Jahr habe ich ein Experiment gemacht; es betraf die letzten vierstündigen Probematuraufsätze: Nachdem ich selbst die Bewertung vorgenommen hatte, habe ich ChatGPT bewerten lassen. Alle 16 Aufsätze erhielten die Note 5. Ich war dann doch etwas differenzierter…

Wenn du eine Sprache auf Knopfdruck perfekt beherrschen könntest – welche wäre es? Und warum gerade diese?
Solange ich noch an Aktivitäten von Rotary International teilnehme, ist dies sicher Englisch, das ich gerne noch präziser reden würde. Später dann Italienisch, weil wir in Italien eine Ferienwohnung haben und ich fliessend mit den Menschen dort sprechen möchte.

Liebe Andrea, wir danken dir herzlich für dieses Gespräch.


Rot. Andrea Weber Allenspach