Das Glück, mit seinen Werten in Einklang zu sein

giovedì 10 ottobre 2024

Denise Lachat

„Hätten Sie Lust, in Neuenburg zu arbeiten?“ Diese Frage stand am Anfang von Annie Rossis Anstellung auf der Domaine de la Grillette in Cressier (NE). Zehn Jahre später hat die talentierte französische Agroigenieurin und Önologin mit internationaler Erfahrung am Neuenburger See und auch bei Rotary Wurzeln geschlagen.

Sie haben sich vorgestellt, dass Annie Rossi beim Weihnachtsessen zum traditionellen, mit Kastanien gefüllten Kapaun oder zur Ente am Spieß  die Weine des Weinguts, das sie leitet, trinkt? Fehlanzeige. „Es ist alles andere als entspannend, seine eigenen Weine zu trinken! Ich weiß, dass ich nach dem Haar in der Suppe suchen würde“, ruft sie. Sie sitzt an dem riesigen Holztisch im Weinkeller der Domaine de la Grillette in Cressier und lässt ihren Blick über die Flaschenreihe schweifen. Malbec, Merlot, Galotta, Pinot Noir, Cabernet - insgesamt 14 Rebsorten werden auf 20 Hektar biologisch und biodynamisch angebaut und liefern 120000 Flaschen pro Jahr. Die Ente wird dennoch mit einem alten Châteauneuf du Pape verkostet. Die junge Direktorin, oder besser gesagt die Regisseurin, wie man in der Sprache des Weinbaus sagt, räumt mit einem Augenzwinkern ein, dass sie an Weihnachten von ihrer französischen Kultur eingeholt wird.

Frankreich ...

Annie Rossi wuchs im Département Vaucluse in der Gegend von Orange auf dem Land auf. Die Eltern übten keine landwirtschaftlichen Berufe aus, aber ihre Tochter spürte schon früh das Bedürfnis, mit dem Lebendigen zu arbeiten. Nachdem sie ihr Studium als Lebensmittelingenieurin abgeschlossen und Praktika in großen Unternehmen wie Coca Cola und Danone absolviert hatte, erkannte sie, dass diese Art von Arbeit zu weit vom Terrain entfernt sein würde, und ergänzte sie mit einer Ausbildung in Weinbau und Önologie. „Die Erde, die Trauben: Es ist wichtig, mit seinen Werten in Einklang zu sein“, betont sie. Nie zuvor hatte sie dies so deutlich verstanden wie an ihrem 30. Geburtstag, nachdem sie einige Jahre für das renommierte Weinhaus Paul Mas im Languedoc gearbeitet hatte, wo ihr schnell verantwortungsvolle Aufgaben übertragen wurden - Produktionsassistentin, Leiterin der Trockengutversorgung, Produktmanagerin, Exportleiterin für Europa, Marketingleiterin. „Es war spannend, ich mag Marketing, ich bin viel gereist und habe die verschiedenen europäischen Weinmärkte kennengelernt. Jedoch habe ich viel Zeit auf Messen und in Flugzeugen verbracht“. So suchte sie das Gespräch mit Isabelle Ferrando, bei der sie 2009 ihre erste Erfahrung als Önologin gemacht hatte und die ihr in sehr guter Erinnerung geblieben war. Damals kelterte sie, ja, ja, genau, einen Châteauneuf du Pape.

Die Planeten standen am Tag ihres Besuchs wohl günstig, denn Isabelle hatte gerade ihren Freund Matthias Tobler getroffen, den Geschäftsführer der Scherer&Bühler AG, einer Luzerner Weinimportfirma, der auch die Domaine de Cressier gehört. Matthias Tobler, der seinen eigenen Weinberg in Südfrankreich hat, war damals auf der Suche nach einem Önologen oder einer Önologin mit internationaler Erfahrung und Vision für das sehr innovative Weingut La Grillette. Als Isabelle Ferrando sie fragte: „Hätten Sie Lust, in Neuenburg zu arbeiten?“, suchte Annie auf der Karte nach Neuenburg und sagte: „Warum nicht?“.

... Neuseeland und die Schweiz

Nach einem ersten Gespräch auf Matthias' Weinberg und nachdem sie bewiesen hatte, dass sie auch auf den Skipisten beim Lauberhorn zurechtkam, wurde Annie Rossi als Regisseurin angestellt. Sie ist also für die Bewirtschaftung der Weinberge sowie die Führung des Weinkellers und des Personals verantwortlich. Eine ziemliche Herausforderung im Alter von 30 Jahren! Sie nickt lächelnd. „ Es war schon ein bisschen verrückt“. Wenn man sich ihren Werdegang ansieht, wird schnell klar, dass die Frau mit der schlanken Figur und den funkelnden Augen über viel Energie verfügt und sich nie gescheut hat, berufliche und menschliche Herausforderungen anzunehmen. So konnte sie sich als erste Frau im Keller in einem noch sehr machistischen Umfeld bei Paul Mas durchsetzen und nahm ein Engagement als Weinkellnerin in Neuseeland an. Dort arbeitete sie für Cloudy Bay, ein auf Sauvignon Blanc spezialisiertes Haus, das zur LVMH-Gruppe gehört. Sie arbeitete nachts und erinnert sich, dass alles beeindruckend und überdimensional war. Zum Beispiel musste man drei Stockwerke hinaufsteigen, um an die Spitze des Tanks zu gelangen. Die Französin blieb drei Monate als „cellar-hand“. Auch die Einsätze der Önologen dauern nicht länger als zwei bis drei Monate, denn das ist die Zeit der Vinifizierung. Deshalb reisen „flying winemakers“ durch die ganze Welt. Annie wollte sich niederlassen, Wurzeln schlagen und sich auf den gesamten Prozess der Weinherstellung einlassen.

Cressier erfüllte all diese Kriterien, aber der Anfang in dieser kleinen Gemeinde oberhalb der Stadt Neuenburg war nicht immer einfach. Sie erzählt, dass sie überrascht war, dass ihre französische Herkunft ein Problem darzustellen schien, konnte aber schließlich zeigen, „dass nicht alle Franzosen Kolonialherren sind“, wie sie lachend bemerkt.

Integration durch Rotary

Die Organisation von Rotary war wertvoll für ihre Integration. Matthias Tobler, selbst Mitglied des RC Luzern, öffnete ihr die Türen zu diesem Club, von dem sie dachte, er sei ein Kreis reicher, alter Leute, und den sie als einen wohlwollenden Kreis entdeckte, in dem sie neue Kraft schöpfen kann. „Dort kann ich ganz ich selbst sein.“ Im Oktober 2018 trat sie dem RC Neuchâtel - Vielle-Thielle bei, auch dank anderer rotarischer Bekannter in der Region. Ein eher ländlich geprägter Club, in dem viele handwerkliche Berufe vertreten sind. „Ich liebe es, mich mit diesen Menschen auszutauschen, die alle hinter denselben Werten vereint sind, qualitätsbewusst und selbstlos.“

Matthias Tobler freut sich über ihre Zusammenarbeit. „Wir haben immer noch viel Freude daran. Wir ergänzen uns und sind gleicher Ansicht, was die Positionierung der Weingüter und die Anbau- und Vinifizierungsmethoden betrifft. Unsere Qualität hat sich im Laufe der Zeit verbessert, und der Erfolg gibt uns recht.“

Die Zukunft des Schweizer Weins

Annie Rossi sieht ein großes Potenzial für Schweizer Qualitätsweine und erinnert daran, dass die Pinot Noirs aus Neuenburg heute mit den Weinen aus dem Burgund konkurrieren können. Sie stellt fest, dass die Schweizer heute bessere Weine trinken, aber insgesamt weniger Wein konsumieren. Wie in anderen Teilen der Welt auch, sinkt der Weinkonsum auf Kosten von Bier, alkoholfreien und alkoholarmen Getränken sowie Premixes, die vor allem von einer jüngeren Kundschaft konsumiert werden. Die Regisseurin von la Grillette spricht unverblümt von einer echten Revolution für den Weinbau. „Im Moment ist es schwer zu sagen, wohin die Reise geht. Aber eines ist sicher: Dieses neue Segment entwickelt sich und hat, insbesondere was alkoholfreie Getränke angeht, seine Berechtigung.“ Die Mutter einer einjährigen Tochter hatte übrigens selbst nach festlichen Alternativen gesucht, um während ihrer Schwangerschaft ohne Alkohol anstoßen zu können. Warum also nicht über eine Traubenschorle nachdenken? Diese Offenheit kann sie in Zukunft gut gebrauchen. Neben dem veränderten Konsumverhalten verlangt auch der Klimawandel Flexibilität von den Winzerinnen und Winzern.

https://grillette.ch/

Annie Rossi im Weinberg mit Blick auf den Bielersee

Rot. Annie Rossi und Matthias Tobler, ebenfalls Rotarier beim RC Luzern