Intrinsisch motivierte Hilfe

srijeda, 14. decembar 2022.

red

«Eine Geburtsklinik fernab der Zivilisation, ohne Strom und sauberes Wasser. Frauen gebären nachts Kinder im Licht von Taschenlampen oder Mobiltelefonen. Das muss man mit eigenen Augen gesehen haben», schüttelt Rot. Peter Werder, noch immer tief beeindruckt, den Kopf. Der CEO des Spitals Linth verbrachte diesen einige Tage in Liberia, um sich vor Ort vom Engagement der rotarischen Stiftung BTFS zu überzeugen.

Rückblick: Unter dem Patronat der Ostschweizer Fachhochschule OST und mit Unterstützung der Schweizer Botschaft in Westafrika dürfen zwei Medizinstudentinnen im Sommer 2021 am Spital Linth in Uznach eine neunwöchige Ausbildung absolvieren. Ziel war es, ein einjähriges Projekt zur Reduktion der hohen Mütter- und Babysterblichkeit in einem liberianischen Landkreis zu lancieren. Koordiniert wurde das Projekt von der Ostschweizer Stiftung BTFS mit Sitz in Schmerikon, die primär vom RC Oberer Zürichsee finanziert wird; auch diverse andere Organisationen und Privatpersonen aus dem Linthgebiet waren involviert.

In den Frühlingsmonaten 2022 verschifft die Stiftung BTFS einen Container mit gebrauchten Spitalbetten, OP-Infrastruktur, Mobiliar und Gebärtischen nach Westafrika, wo das lokale Projektteam die von langer Hand geplante Verteilung steuerte. Die Freude in den zehn «Buschkliniken», die in den Genuss der Spenden kamen, war riesig.

Am 9. Juni 2022 besucht die Schweizer Botschafterin Anne Lugon-Moulin das BTFS Team in Monrovia und lässt sich vor Ort über das Hilfsprojekt orientieren. Die Schweizer Botschaft hatte sich mit einem finanziellen Beitrag beteiligt.

Ende Juni schliesslich beginnt der Einsatz von Rot. Peter Werder. Der Spitaldirektor verlässt die Komfortzone Schweiz und besucht das Projektgebiet im Landkreis Margibi in Liberia. Das BTFS Team in Liberia empfängt Peter Werder am Flughafen Roberts International Airport in Monrovia. Die während der Regenzeit überschwemmten, in katastrophalen Zustand befindlichen Strassen geben ihm einen ersten Eindruck von den Herausforderungen, mit denen die Menschen in dem westafrikanischen Land Tag für Tag zu kämpfen haben. 

In den darauffolgenden Tagen verbringt der Spitaldirektor viel Zeit mit dem BTFS Team und scheute sich nicht, stundenlange, abenteuerliche Fahrten in weit abgelegene Gesundheitseinrichtungen zu begleiten. Er zeigt sich als aufmerksamer Zuhörer, der keine Berührungsängste hat, und sich rege mit dem Team austauscht. Die fünf Punkt, die ihn während seiner Reise am meisten beschäftigten, teilt Rot. Peter Werder nachfolgend gern mit uns.

Team: Es braucht ein fachlich und menschlich starkes Team vor Ort, dem man vertrauen kann. Perfekt wird es nie sein, und die kulturellen Unterschiede sind zu beachten – das betrifft bekannte Probleme wie Pünktlichkeit bzw. Verlässlichkeit oder auch das fachliche Niveau, das nicht immer vergleichbar mit dem Unsrigen ist. Erwartungen müssen angepasst werden. Ein Hilfsprojekt in Westafrika ist nur mit Grundvertrauen und starken Kontakten vor Ort machbar – allen Widrigkeiten zum Trotz.

Nicht langfristig, sondern momentbezogen – mit klaren Zielen, direkt, persönlich: Aus Schweizer Perspektive sollen Hilfsprojekte in Entwicklungsländern immer «nachhaltig» sein. Eines meiner Learnings: Das halte ich für falsch. Hilfsprojekte können auch auf Personen und zeitlich eingegrenzte Phasen bezogen sein. Man kann in Biografien investieren und hoffen, dass aus Kontaktpersonen vor Ort verantwortungsvolle Fachleute werden – idealerweise sogar Botschafter für das Projekt. Ein Wasserkiosk ist nicht für die Ewigkeit gebaut, doch in der Zeit, während der der Kiosk sauberes Wasser liefert und etwas Einkommen in die Region bringt, hilft er und rettet vielleicht sogar Leben. Ein Projekt, um die Mütter- oder Babysterblichkeit zu senken, kann in der aktiven Projektphase viel bewirken und Menschenleben retten – ohne, dass man dabei bis in alle Ewigkeit plant. Wir sollten uns von diesem Anspruch verabschieden und bewusst in Personen oder Projekte investieren. Daraus kann sich etwas Längerfristiges entwickeln. Nachhaltigkeit von Beginn zu erwarten, halte ich nicht für realistisch.

Hard-Skills (technisch oder medizinisch) versus Soft Skills (Team- oder Projektführung): Die kulturellen Unterschiede muss man verstehen, aber nebst diesen Unterschieden dürfen die Soft Skills der Vertrauenspersonen vor Ort nicht vernachlässigt werden. Natürlich sind Schulungen in den Kerndisziplinen zentral, aber wenn keine Teamführung vor Ort ist, sich keine Fehlerkultur etabliert oder keine Organisationsstruktur spürbar ist, werden alle Projekte scheitern. Daher braucht es auch Schulungen für Team- und Projektführung – die kulturellen Unterschiede würdigend.

Alles ist komplett anders: Wenn man von kulturellen Unterschieden spricht und diese noch nie selbst erlebt habt, wird man sie nie verstehen oder in der Vorbereitungsphase antizipieren können. Kurz: Es ist wirklich alles fundamental anders. Dabei geht es nicht nur um die bekannten Unterschiede betreffend Pünktlichkeit oder Zuverlässigkeit. Es geht um das tiefere Verständnis anderer Prioritäten und Lebensumstände. Wer ökonomisch für nicht mehr als einen Tag abgesichert ist, plant kaum für die Folgewoche. Und wo Freunde und Familie den höchsten Stellenwert haben, ist damit zu rechnen, dass ein Businessmeeting später stattfindet – wenn überhaupt. Die kulturellen Unterschiede zu verstehen, das ist die Basis, um mit den Problemen umgehen zu können, sie vorher anzusprechen und sie gemeinsam zu lösen. Nicht aus einer überheblichen Haltung heraus, sondern aus dem Willen, etwas Gutes zu bewirken, ein Projekt zu realisieren und dabei auf solche Rahmenbedingungen zählen zu können. Das gehört dazu und muss eingerechnet werden – wie alles andere, das der Zielerreichung dient.

Frustrationstoleranz: Es gibt in Liberia reiche Leute, die sich nicht engagieren, die nicht helfen, nicht spenden. Ich habe mich oft gefragt, wieso wir uns (von der Schweiz aus) engagieren sollten. Die Antwort ist einfach: Eben gerade, weil die Leute vor Ort, die über diese Möglichkeiten verfügen, nichts tun. Für uns muss die Hilfe intrinsisch motiviert sein, wir müssen uns immer wieder mit dem einen oder anderen Frust abfinden, aber im Grossen und Ganzen ist dieser Kontakt – ein Engagement vor Ort – unglaublich erfüllend. Man muss dabei viel Frustrationstoleranz mitbringen: Weil man beobachtet, dass vor Ort nicht geholfen wird und auch unter der armen Bevölkerung wenig zu spüren ist von gegenseitiger Unterstützung, ökologischer Verantwortung in der Wohngegend oder sozialem Kit. Das wird man mit der Hilfe nicht so schnell ändern können – aber man kann punktuell und auf eine definierte Zeit bezogen sehr viel tun.

Ende Juni verlässt Rot. Peter Werder die Komfortzone Schweiz und überzeugt sich vor Ort vom Engament der BTFS Stiftung