Warum der Kampf gegen Polio weitergehen muss

viernes, 15 de marzo de 2024

red.

1985 machte sich Rotary International auf, die Kinderlähmung auszurotten. Damals fielen der heimtückischen Krankheit jedes Jahr mehr als 350000 Kinder in 125 Ländern zum Opfer. Dank vereinter Anstrengungen konnte die einzigartige öffentlich-private Partnerschaft die endemischen Poliofälle um mehr als 99 Prozent reduzieren. Sind «null Fälle» irgendwann realistisch? Ein Gespräch mit der PolioPlus-Koordinatorin für den Distrikt 1980, Rot. Isabel Zimmermann vom RC Balsthal.

Isabel, viele Rotarier fragen sich: Warum müssen wir jedes Jahr Millionen von Dollar für das PolioPlus-Programm von Rotary aufbringen, wenn sich die Zahl der Fälle doch so drastisch reduziert hat?

Die Frage ist absolut berechtigt. Das Jahresbudget der Global Polio Eradication Initiative (GPEI) beträgt etwa 1 Milliarde US-Dollar. Rotary steuert rund die Hälfte dieser Summe bei, entweder direkt oder indirekt. Was wir dabei aber nicht vergessen dürfen: Mit dem Geld werden nicht nur Kinder in den Grenzgebieten von Afghanistan und Pakistan geimpft, wo zuletzt noch endemische Fälle aufgetreten sind. Wir stellen vielmehr sicher, dass die Krankheit auch an anderen Orten der Welt nicht wieder Fuss fasst.

Spätestens seit Covid-19 ist uns allen bewusst: Hochinfektiöse Krankheiten können sich durch Bevölkerungsbewegungen in rasender Geschwindigkeit ausbreiten. Das ist bei Polio nicht anders. Solange sich die Kinderlähmung in Pakistan und Afghanistan hält, besteht in allen Ländern der Welt die Gefahr einer Neuinfektion.

Wir haben das in der Vergangenheit immer wieder erlebt: Polio tauchte in Ländern wieder auf, die bereits als poliofrei galten. Dies betraf insbesondere Länder des Nahen Ostens, Südostasiens und Afrikas. Im vorigen Jahr ist die Krankheit in London, New York, Kanada und der Ukraine wieder aufgetreten. Und sie könnte theoretisch auch in die Schweiz zurückkehren, schliesslich haben wir es in einigen Gebieten mit ganz erheblichen Impflücken zu tun. Stellen Sie sich nur einmal vor, auch hierzulande würden wieder Kinder durch Polio gelähmt…

Wir wissen aus Modellrechnungen, dass die Kinderlähmung, wenn wir sie nicht ausrotten, weltweit wieder aufpoppen und innerhalb von zehn Jahren bis zu 200000 neue Fälle jährlich verursachen könnte. Genau deshalb müssen wir die Krankheit restlos ausrotten. Und just aus diesem Grund hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Bemühungen um die Ausrottung der Kinderlähmung auf ihre höchste Alarmstufe gesetzt – noch höher als die COVID-19-Pandemie. Die Risiken, die ein Scheitern mit sich brächte, wären enorm.

 Worauf konzentriert sich Rotary in diesem Bemühen?

Mit unserem globalen Budget machen wir vor allem zwei Dinge: Wir impfen Kinder, sehr viele Kinder, und wir überwachen die Krankheit aktiv, um nachvollziehen zu können, wie sie sich entwickelt.

Im vergangenen Jahr beispielsweise wurden mehr als 800 Millionen Kinder geimpft. Die meisten von ihnen stammten aus ressourcenarmen Gebieten, wo das Risiko einer erneuten Polioinfektion am höchsten ist. Diese Gebiete sind in der Regel von komplexen, langwierigen Notsituationen betroffen. Dazu gehören der Nordwesten Nigerias, der Osten der Demokratischen Republik Kongo, der nördliche Jemen und das südliche Zentrum Somalias. Und natürlich Afghanistan und Pakistan.

Wenn man sich die Herausforderungen vor Augen hält, die in den betroffenen Gebieten herrschen, ist die Zahl von 800 Millionen umso beeindruckender.

Aber das PolioPlus-Netz ist so gut etabliert, so tief in den lokalen Gemeinschaften und Kulturen verwurzelt, dass wir trotz dieser Herausforderungen in der Lage sind, 800 Millionen Kinder in diesen Gebieten zu erreichen.  Und sehr oft sind wir in der Lage, diesen Kindern neben den Polioimpfstoffen auch weitere Gesundheitsfürsorge anzubieten.

Ist das das «Plus» in «PolioPlus»?

Ganz genau!  Das «Plus» heisst: Wir rotten Polio aus, aber wir tun es so, dass es den Gemeinschaften bei vielen anderen Dingen hilft.  Ich habe die aktive Krankheitsüberwachung erwähnt: Es handelt sich um ein globales Netz, das eingerichtet wurde, um jeden Poliofall überall auf der Welt innerhalb von 14 Tagen zu erkennen und zu untersuchen.  Es ist ein riesiges Netzwerk.  Das bedeutet, dass wir im Grunde mehr als 100 000 «verdächtige» Poliofälle aufspüren und untersuchen, d. h. Kinder, die ähnliche Symptome aufweisen, nur um auszuschliessen, dass diese Fälle nicht durch Polio verursacht werden.  Denn wenn es sich um Polio handelt, müssen wir das sofort wissen, damit wir sofort reagieren und grössere Epidemien verhindern können.  Auf der anderen Seite hilft es aber auch, viele andere Krankheiten zu erkennen.  Nur ein Beispiel: Während des Ebola-Ausbruchs 2014 in Westafrika reiste ein Ebola-Infizierter mit dem Flugzeug von Sierra Leone nach Lagos, Nigeria. Als er dort ankam, traten die Symptome auf, und der Mann wurde vom PolioPlus-Überwachungsbeauftragten in Lagos identifiziert, der die notwendigen Schritte einleitete, um ihn zu isolieren, die Kontaktsuche zu organisieren und die Behandlung zu beginnen. Dadurch wurde im Wesentlichen verhindert, dass Ebola in Nigeria Fuss fasst. Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas und ein wichtiger internationaler Verkehrsknotenpunkt. Hätte sich Ebola dort etabliert, wäre die Epidemie noch viel schlimmer gewesen, als sie es ohnehin schon war.  Aber das wurde dank des PolioPlus-Überwachungssystems verhindert.

Okay, all das erklärt, warum wir weiterhin so viel Geld sammeln müssen, selbst für «nur» eine Handvoll Fälle.  Aber wie lange noch?  Ist eine vollständige Ausrottung der Kinderlähmung machbar?  Und wenn ja, wann?

Ist es machbar?  Technisch und biologisch gesehen, absolut!  Die Tatsache, dass 99 Prozent der Welt, einschliesslich einiger der technisch schwierigsten Orte wie Indien, erfolgreich waren, ist ein klarer Beweis dafür. Das Poliovirus kann nur durch die Übertragung zwischen Menschen überleben. Wenn man also genügend Kinder in einem bestimmten Umfeld impft, kann sich Polio nirgendwo verstecken. Man unterbricht die Ausbreitung des Virus von Mensch zu Mensch, und die Krankheit ist in diesem Gebiet verschwunden.  Kompliziert wird es, wenn nicht genügend Kinder geimpft werden. Die Gründe dafür sind unterschiedlich, aber keiner davon ist technischer oder biologischer Natur. Sie sind alle geopolitisch und gesellschaftlich bedingt.  Medizinisch haben wir alles, was wir brauchen. Jetzt brauchen wir noch den politischen und gesellschaftlichen Willen, um jedes einzelne Kind zu erreichen. Wann werden wir also in der Lage sein, jene Kinder, die noch nicht geimpft wurden, in diesen letzten verbleibenden Gebieten Afghanistans und Pakistans zu erreichen?  Das sind geopolitische, keine technischen Fragen.

Was wir sagen können: Pakistan ist eigentlich ein sehr schönes Sinnbild für die weltweiten Bemühungen. Vor 30 Jahren lähmte die Kinderlähmung mehr als 35000 Kinder in jedem einzelnen Bezirk des Landes.  Im Jahr 2023 waren sechs Kinder gelähmt, in nur drei Bezirken einer Provinz. Die genetische Vielfalt der Poliovirus-Übertragung - mit anderen Worten, die einzelnen, getrennten Familienstämme des im Land zirkulierenden Poliovirus - hat sich von mehr als einem Dutzend verschiedener Stämme im Jahr 2022 auf nur noch einen im Jahr 2024 verringert.  Das bedeutet, dass das, was wir tun, funktioniert, dass die einzelnen Familienstämme des Virus ausgerottet werden. Ähnliche virologische und epidemiologische Entwicklungen konnten wir übrigens auch in anderen Ländern beobachten, z. B. in Indien, als sie sich dem poliofreien Status näherten.

Pakistan ist also auf dem richtigen Weg. Es ermittelt, warum Kinder nicht geimpft werden, und erstellt dann Notfallpläne, um diese Ursachen zu beseitigen. Übrigens wird in Ländern wie Pakistan und Afghanistan viel über den «elterlichen Widerstand» gesprochen. Aber der elterliche Widerstand gegen Impfungen ist mit etwa 1,5 Prozent gering. In der Schweiz liegen die Ablehnungsraten mit fast zehn Prozent viel höher. Das Hauptproblem sind also wirklich die operativen oder geopolitischen Fragen.  Nehmen wir die Überschwemmungen im Jahr 2022 in Pakistan: Ein Drittel des Landes stand unter Wasser, ein Drittel der Bevölkerung war infolgedessen auf der Flucht. Doch das PolioPlus-Programm funktionierte: Es richtete mobile Impfstellen ein und lieferte Polio-Impfstoff zusammen mit anderen Gesundheitsmassnahmen und Hilfsgütern in Lager für Binnenvertriebene.

Es sind also genau diese Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt.  Die Ausrottung einer Krankheit ist nicht einfach. Das ist es auch nur einmal in der Geschichte gelungen, nämlich 1980 mit der Ausrottung der Pocken. Aber: Wir müssen Erfolg haben!  Und wir werden Erfolg haben. Es könnte länger dauern als erhofft, aber es wird sich lohnen. Wir sollten uns auch vor Augen halten, wieviel wir bereits erreicht haben: Dank PolioPlus konnten seit 1985 mehr als 20 Millionen Fälle von Polio-Lähmung verhindert und mehr als 1,5 Millionen Leben gerettet werden. Jedes Jahr verhindern wir, dass etwa 600000 Kinder gelähmt werden. Das sind in jeder Hinsicht grosse Erfolge, auf die wir stolz sein können, auch wenn wir uns weiterhin bemühen, die Fälle auf null zu senken.

Eine poliofreie Welt wäre also das Geschenk von Rotary an die Welt?

Ja, und noch viel mehr. Indem wir zusammenarbeiten, solidarisch auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten, unabhängig davon, wer oder wo man ist, arbeiten wir für ein globales öffentliches Gut. Alle Länder profitieren gleichermassen von einer poliofreien Welt. Es gibt nichts Nachhaltigeres oder Gerechteres als die Ausrottung einer Krankheit.

1977 wurde Ali Maalin, ein Mann in Somalia, mit Pocken infiziert.  Glücklicherweise überlebte er seine Pockeninfektion und arbeitete danach viele Jahre lang für PolioPlus in Somalia. Er sagte jeweils, dass sein Land das letzte auf der Erde mit Pocken war, und er wolle nicht, dass es auch das letzte auf der Erde mit Polio sei. Vor Alis Infektion im Jahr 1977 starben allein im 20. Jahrhundert weltweit mehr als 500 Millionen Menschen an Pocken. Das sind mehr Tote, als in allen Kriegen der Menschheitsgeschichte, einschliesslich des Ersten und Zweiten Weltkriegs, zu beklagen waren. Doch dank der weltweiten Bemühungen zur Ausrottung der Pocken wurde seit 1977 kein einziger Mensch mehr von dieser Krankheit befallen, und die Weltgesundheitsorganisation erklärte sie 1980 als weltweit ausgerottet.

Das ist es, was wir mit Polio erreichen wollen. Wir stehen kurz davor, unseren Traum zu verwirklichen. Dieses Privileg bringt auch Verantwortung mit sich. Darum meine Bitte an jeden Rotarier, jede Rotarierin: Geben Sie nicht auf. Im Gegenteil, unsere Anstrengungen müssen jetzt verdoppelt werden. Helfen Sie mit, gemeinsam dieses Ziel erreichen. Es ist vielleicht die wichtigste Sache, an der wir alle beteiligt sind.

Die «Global Polio Eradication Initiative»

Angeführt wird die «Global Polio Eradication Initiative» (GPEI) von nationalen Regierungen, von Rotary International, der Weltgesundheitsorganisation, UNICEF, den US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC), der Bill and Melinda Gates Foundation sowie Gavi, der Vaccine Alliance. Ihnen allen ist es zu verdanken, dass im Jahr 2023 lediglich zwölf Kinder vom Polio-Wildvirus betroffen waren; alle zwölf waren in den Grenzgebieten Pakistans und Afghanistans zuhause.

Wie können Clubs helfen?

Isabel Zimmermann organisiert zusammen mit ihren Kollegen aus den Distrikten 2000 (Cory Edwards) und 1990 (Oliver Rosenbauer) Kampagnen und Aktivitäten, die ansprechend und unterhaltsam sind und den Geldbeutel nicht allzu sehr belasten. Zusätzlich zu der Aufforderung an die Clubs, jedes Jahr im Oktober Veranstaltungen zum Welt-Polio-Tag zu organisieren, wie z.B. «Spar Lunches» bei den wöchentlichen Clubtreffen, werden den Rotariern eine Reihe von Produkten zum Kauf angeboten, deren Erlös an PolioPlus geht. Dazu gehören:

• PolioPlus Webstamps, in Partnerschaft mit der Schweizerischen Post (mit grossem Dank an Rot. Susann Richter, RC Augst-Raurica, die diese Kampagne konzipiert, gestaltet und gestartet hat). Sie können direkt über Polaris bestellt werden: https://polaris.rotary.ch/fr/agenda/show/168556;

• PolioPlus Tulpenzwiebeln, in Partnerschaft mit Rotary in den Niederlanden;

• «Tuorta da Nusch», die traditionelle Engadiner Nusstorte der Familienkonditorei Giacometti in Lavin;

• Osterverkauf von Ostereiern zu Gunsten von PolioPlus (80000 Franken wurden so in den letzten zehn Jahren mobilisiert, durchgeführt vom RC Frauenfeld-Untersee);

• Rioja Wein, in Partnerschaft mit Rotary Spanien. Alle Produkte sind verfügbar und können direkt bei Isabel, Cory oder Oliver bestellt werden, unter:

• Isabel Zimmermann, tel +41 79 344 6573, email: isabel.zimmermann@gmail.com

• Cory Edwards, tel +41 76 592 0497, email: cory.edwards@rotary2000.ch

• Oliver Rosenbauer, tel +41 79 500 6536, email: rosenbauero@who.int

Ein Kochbuch zu Gunsten von PolioPlus

Neu gibt es auch ein Kochbuch zu Gunsten von PolioPlus: Das Kochbuch ist von den Mitgliedern des RC Allschwil-Regio Basel gestaltet worden, die Rezepte sind Lieblingsgerichte der Mitglieder, versehen mit einer Weinempfehlung einer Basler Enoteca. Eine Impfung kostet nur ca. 30 Rappen, die Lohnkosten der Impfhelferinnen und -helfer in Pakistan für sechs Tage harte Arbeit in der Woche belaufen sich auf knapp 50 Franken. Wäre es demnach als Zeichen der Dankbarkeit gegenüber den Frontarbeiterinnen und -arbeitern in Pakistan nicht gerechtfertigt, für 50 Franken ein Kochbuch zu erstehen, um anderen Freude zu machen und gleichzeitig zu helfen? Pro Buch gingen demnach 30 Franken an PolioPlus, 20 Franken kostet die Herstellung des rotarisch geprägten Kochbüchleins. Die Idee aus dem RC Allschwil-Regio Basel hat in der Nordwestschweiz grosse Anerkennung gefunden. Das hat die Initianten bewogen, die Fühler in die Distrikte auszustrecken. Sie würden sich freuen, alle Gourmets überzeugen zu dürfen, bei dieser nationalen Aktion dabei zu sein. Hier kann es bestellt werden: beat.oberlin@outlook.com

PolioPlus-Koordinatorin für den Distrikt 1980, Rot. Isabel Zimmermann vom RC Balsthal