Hauswart, Hirte, Hoffnungsträger

Monday, December 1, 2025

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Psychologe, Seelsorger, Netzwerker, Rotarier – und seit Juli Bischof von St. Gallen: Beat Grögli steht für eine Kirche mit Herz, die zuhört statt urteilt. Und für einen Glauben, der Sinn stiftet, statt belehrt.

Hundert Tage im Amt – und Beat Grögli lacht. Nicht das Lachen eines Mannes, der angekommen ist, sondern das von jemandem, der sich auf dem Weg weiss. «Der Betrieb läuft, die Agenda ist à jour, der Schwung spürbar», sagt er, und wer ihm gegenüber Platz nimmt, glaubt es sofort. Da hat man keinen Kirchenmann vor sich, der mit Pathos über Berufung spricht; da sitzt einer, der Zuversicht ausstrahlt und pure Freude. Freude – dieses Wort wird im Verlauf des Gesprächs noch häufiger fallen. Und man merkt schnell: Sie ist kein Beiwerk für ihn, sie ist Antrieb.

Karriere ‒ das war für Bischof Beat nie Triebfeder, eher eine Art Nebenprodukt. In seiner Jugend wollte er Bäcker werden, weil er den Duft von Brot liebte. Später hatte er Pläne, zur Post zu gehen, wie schon seine Cousins. Mit etwa vierzehn kristallisierte sich der Wunsch heraus, Priester zu werden – aus dem Bedürfnis heraus, etwas «Sinnvolles und Ganzes» zu tun. «Ich möchte in der Arbeit leben», sagt er. Die viel beschworene «Work-Life-Balance» hält er indes für ein Missverständnis – als gäbe es Arbeit hier und Leben dort.

Freude am Glauben statt Selbstoptimierung

Vielleicht ist genau diese Haltung das Geheimnis von Bischof Beats Leichtigkeit. Wer Sinn lebt, statt ihn krampfhaft zu suchen, strahlt Ruhe aus. Und so begegnet man einem Glaubensmann, der gerne zuhört. Wenn Menschen mit Fragen oder Sorgen zu ihm kommen, sieht er hin und hört zu «Nicht wenige Menschen machen die Erfahrung, übersehen zu werden. Geben wir ihnen An-Sehen!» Ein Satz, der leise wirkt, und doch nachhallt.

Seine eigene Kraft schöpft Grögli aus festen Ritualen. Fast täglich feiert er Gottesdienst, regelmässig nimmt er sich Zeit für Gebet, geistliche Begleitung und Supervision. «Spirituelles Coaching», schmunzelt er. Diese Begleitung ist für ihn wie ein geschützter Raum, in dem er über alles reden und sich jemandem anvertrauen kann. «An Menschen, an Institutionen, an mir selbst zweifle ich manchmal. An Gott nicht. Deus est, sagen die Mystiker – Gott ist.»

Dieser Glaube ist geerdet, gewachsen aus Erfahrung, getragen von Vertrauen. Schon als Jugendlicher nahm Beat Grögli seinen Herrgott beim Wort. «Fürchte dich nicht, ich bin bei dir» – dieser Satz ist bei ihm hängengeblieben und lässt ihn nicht los. Wenn Gott das wirklich meint, wollte er es wissen. «Ich nehme dich beim Wort», betete er. «Lass mich spüren, dass du da bist.» Eine Art Wette war das damals, erinnert er sich – nicht trotzig, eher neugierig. Die Offenheit, diese Zuversicht von damals begleitet ihn seither

Während andere über Achtsamkeit sinnieren, während die Selbstoptimierung boomt und eine Meditations-App nach der anderen auf den Markt geworfen wird, bleibt Grögli unbeirrt. «Da geht es oft nur um Leistungsdruck in spirituellem Gewand», sagt er. «Die christliche Botschaft will jedoch das Gegenteil, sie möchte entlasten: Gott ist schon da, bevor ich etwas leiste.» Dieses Bewusstsein nennt er Befreiung – ein Gott, der lieber sät, als zählt: grosszügig, verschwenderisch, frei. «Etwas fällt auf den Weg, etwas in die Dornen, etwas auf gute Erde», sagt er. «Das genügt.» In dieser Grosszügigkeit erkennt er den eigentlichen Gegenentwurf zum Optimierungsdruck: Wer sich getragen weiss, muss nichts beweisen – und findet darin Sinn.

Bischof Beat steht für eine Kirche mit offenem Herzen. Dieses Bild begleitet ihn auch in seinem Wahlspruch In concordiam Christi – herzlich in Christus. «Das Herz Jesu ist offen für alle», heisst das sinngemäss. Concordia bedeutet Eintracht – und erinnert an die Schweizer Konkordanz: nicht immer bequem, aber tragfähig.

Überhaupt denkt der neue Bischof gern in Bildern. Einen wahren Meister der stillen Gesten sieht er in Papst Franziskus, der in diesem Frühjahr verstorben ist. Manche Szenen mit ihm haben sich eingebrannt, in Beat Gröglis Erinnerung ebenso wie im kollektiven Gedächtnis: der Papst, wie er mutterseelenallein auf dem Petersplatz steht, im Regen, während die Welt coronahalber in Schockstarre verharrt; sein kleiner Fiat Cinquecento, der sich zwischen Staatskarossen einreiht; das Gebet an der Klagemauer in Jerusalem – und an der Sperrmauer, die Israel vom Westjordanland trennt.

Für Beat Grögli liegt die Kraft der Kirche weniger in Machtmitteln als in ihrer Sprache – in Gesten, die berühren, und in Worten, die etwas in Bewegung setzen. Als Dompfarrer hat er erfahren, dass grosse Begriffe eine Übersetzung brauchen, um verstanden zu werden. «Rechtfertigung, zum Beispiel, bedeutet letztlich Entlastung – ich muss nicht immer recht haben.» Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: «Im Kern geht es darum, dass ich mich nicht ständig beweisen muss. «Das ist für mich die befreiendste Botschaft des Christentums», sagt er. Dann lächelt er und fügt an: «Martin Walser bringt es wunderbar auf den Punkt: ‹Diese verdammte Rechthaberei!› – das finde ich grossartig. Dass ein Schriftsteller diesen grossen Begriff aus der christlichen Tradition so durchpflügt.» Auf diese Weise wird aus Theologie Verständigung, aus Dogma Dialog – klar, präzise, lebendig. 

Vom Sinn des Dienens

Was sich in Worten sagen lässt, sucht im Alltag seine Form. Auf Griechisch, erklärt er, heisst der biblische Verwalter Oikonomos – der Ökonom, wörtlich: der Hauswart. «Ich bin also so etwas wie der Hauswart des Bistums», sagt er lachend. «Und das ist gar keine schlechte Aufgabe.» Ein Hauswart sorgt für Ordnung, für Wärme, für Licht. Er achtet darauf, dass das, was ihm anvertraut wurde, gut erhalten bleibt – und weitergegeben wird. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Grögli gerade darin Sinn erkennt: im Schauen, Pflegen, Ermöglichen. 

Als Bischof, Theologe, Seelsorger – und gewissermassen als Hauswart – ist Grögli Teil eines weltweiten Kollegiums von rund 5000 Amtsbrüdern – ein geistliches Netzwerk, das weiter reicht als jedes diplomatische Korps. 

Doch aller «Weite» zum Trotz: Dem Hauswart darf eine gute Portion an Bodenhaftung nicht fehlen, und die pflegt auch Beat Grögli. Er spricht offen über den Fachkräftemangel und darüber, wie schwierig es geworden ist, in einer sich rasant wandelnden Gesellschaft Orientierung zu geben. «Die grosse Kunst ist, mitzuhalten, ohne sich selbst zu verlieren», sagt er. Sinn, davon ist Grögli überzeugt, entsteht dort, wo Menschen füreinander da sind und einander Halt geben. 

Diesen Geist des Zusammenhaltens, des Helfens und Dienens erlebt Bischof Beat, seit 2016 Mitglied im RC St. Gallen-Freudenberg, auch bei Rotary. «Demut», sagt er, «ist Mut zum Dienst». Für ihn bedeutet das keine Unterordnung, sondern Verantwortung: den Blick zu weiten, über sich hinauszudenken. 

Und dann ist da, auch bei Rotary, die Freude, sein stiller Leitfaden. «Die Freude an der Arbeit gibt Kraft», sagt er. «Und sie steckt an.» Man glaubt es ihm sofort: ob in der Kathedrale, beim Rotary-Lunch oder im Gespräch. Grögli kann herzlich lachen, auch über sich selbst. Und das, sagt er, sei eine oft unterschätzte Tugend des Glaubens.

Zum Schluss wird er leise. Zwischen Weihnachten und Neujahr, sagt er, wünsche er sich «etwas mehr Ruhe – Zeit für Freunde, für Familie, für Begegnung». Und für die Welt? «Mehr Frieden. Eine Politik, die das Gemeinwohl über die Eigeninteressen stellt.»

Dann steht er auf, reicht die Hand – und lacht wieder. Dieses Lachen ist vielleicht die kürzeste Definition von Sinn: Freude, die man teilt.

 

Zur Person
Beat Grögli
 (geb. 1970) stammt aus Wil (SG) und wurde 1998 zum Priester geweiht. Nach Studien der Theologie und Philosophie in Fribourg, Wien und Innsbruck sowie einem Psychologiestudium an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom war er in verschiedenen Seelsorgestationen in der Stadt St. Gallen tätig. Von 2013 bis 2025 war er Dompfarrer an der Kathedrale St. Gallen. Am 5. Juli 2025 wurde er zum zwölften Bischof des Bistums St. Gallen geweiht. Sein Wahlspruch lautet In concordiam Christi – Herzlich in Christus. Grögli ist seit 2016 Mitglied im RC St. Gallen-Freudenberg.