Der Rotary Club Bern feiert dieses Jahr sein 100-jähriges Jubiläum. Der älteste Club im Distrikt 1990 blickt auf eine lange Tradition zurück. Die Mitgliedschaft reicht dabei nicht selten über mehrere Generationen hinweg. So war Rotary für Peter Giger schon in seiner Kindheit ein Thema: Sein Grossvater zählte zu den Gründungsmitgliedern des RC Bern. Grund genug für ein Gespräch über Geschichte, Erinnerungen und Errungenschaften.
«Unser letzter Lunch wies, bei einer Anwesenheit von 19 Rotariern, die niedrigste Präsenz auf, die wir bis heute zu verzeichnen hatten. Die vorangegangenen Osterfeiertage werden die Ursache dieser Ebbe gewesen sein.» So steht es in den «Wöchentlichen Mitteilungen» des Rotary Club Bern, datiert vom 21. April 1925. Sie gehören zu den ersten Mitteilungen des ältesten Clubs im Distrikt 1990 – der RC Bern wurde am 3. März 1925 gegründet, ein knappes Jahr nach dem RC Zürich, dem allerersten Rotary Club der Schweiz.
Vorbild für die Kinder
Peter Giger, seit 53 Jahren Mitglied im Berner Traditionsclub, hat die Archivkopien zu unserem Treffen im Berner «Casino» mitgebracht. Peter ist 1938 geboren, seit 1972 ist er Mitglied im RC Bern. Der Serviceclub war bereits in seinen Jugendjahren präsent. Tatsächlich gehörte sein Grossvater väterlicherseits zu den Gründungsmitgliedern des RC Bern, und auch Peters Vater war später Mitglied. «Rotary war ein Thema in der Familie», bestätigt Peter. Dass mehrere Generationen im Club vertreten waren, war damals in Bern keine Seltenheit. Peter kennt gut eine Handvoll Familien und Firmen, bei denen «die rotarische Mentalität» über Generationen verankert war. «Dienstleistung, Fairness und Unterstützung wurden den Kindern vorgelebt, und so sagten auch sie automatisch Ja zu freiwilligen Engagements.»
Sie haben wie Peter die Entwicklung des RC Bern miterlebt, die stark von den jeweiligen Welt- und Wirtschaftslagen geprägt war. Die ersten Jahre des Clubs fielen mit der Wirtschaftskrise der Dreissigerjahre zusammen, ein Jahrzehnt später folgte die Zeit des Zweiten Weltkriegs. In den 30er-Jahren waren verschiedene Mitglieder des Clubs in wichtigen Positionen der Wirtschaft, Politik, Kultur und Militär engagiert und als Berater gefragt. Peter Giger erinnert sich nicht nur daran, dass er mit dem Kopfkissen unter dem Arm in den Luftschutzkeller eilte, sondern auch, dass sein Vater und die Schwester in der Gemeinschaft sehr engagiert waren. «Damals intensivierten sich die Kontakte innerhalb des Clubs. Alle waren mit dem Herzen dabei und halfen den Familien, nicht nur über das Portemonnaie, sondern mit praktischer Hilfe.» Auch die Frauen der Rotarier des RC Bern, der bis ins Jahr 2020 ein reiner Männerclub war, halfen nach Kräften mit Näh- und Strickarbeiten, Nahrungsmitteln und Betreuungsdiensten.
Kontakt über den Jugenddienst
Bei Kriegsende hatte auch Peter seinen ersten Einsatz – nicht für Rotary, sondern für die Pfadi, als Wegweiser für das Militär. Seinen ersten direkten Kontakt zu Rotary hatte Peter mit 17 Jahren. Mit leuchtenden Augen erzählt er von der Chance, dank dem rotarischen Jugenddienst des Distrikts 1990 mit einer Gruppe Jugendlicher eine Woche im englischen Thirsk verbrachte. Aus der zusammengewürfelten Gemeinschaft seien Freundschaften entstanden, die bis heute andauern. An einem Lunch im Hotel Bristol, wo sich die Berner Rotarier damals trafen, berichtete er über seine Reise und seine Gastfamilie.
Der «Spatz im Gamellendeckel»
Das war 1957. 15 Jahre später wurde Peter selbst Mitglied im RC Bern. Aus den Siebzigerjahren ist dem Rotarier, der in der dritten Generation eine Kaffeerösterei und einen Lebensmittelhandel führte, der festliche Chlousenabend mit Damen anfangs Dezember im Hotel Bellevue in Erinnerung. Und natürlich der jährliche Ausflug auf den Imihubel in Niedermuhlern: Der passionierte rotarische Geologieprofessor Rolf F. Rutsch (1902-1975) hatte den geologisch interessanten Hügel zu Forschungszwecken gekauft. Rotarier Andreas Gfeller, Inhaber der Restaurants Gfeller am Bärenplatz, servierte zusammen mit seinen Mitarbeitern den berühmten «Spatz im Gamellendeckel» - ein Menü, das Armeedienstleistenden bestens bekannt sein dürfte. Nach den Worten von Peter war es einer der typischen ungezwungenen Anlässe in fröhlicher Kameradschaft, begleitet von Handorgelmusik – und ohne Krawattenzwang. Anzug und Krawatte waren damals die Regel im Beruf wie bei den rotarischen Lunches, die vom «Bristol» ins «Bellevue» gewechselt hatten. «Ich habe sicher 20 Krawatten im Schrank», sagt Peter. Diese Gepflogenheiten haben sich längst geändert, nicht nur bei Rotary.
Nicht geändert hat sich nach den Worten von Peter «der Sinn und Geist eines Serviceclubs, der sich lokal und regional engagiert». Wenn er an die 90er-Jahre zurückdenkt, kommen ihm die Gemeinschaftsdienst-Projekte im Emmental und im Berner Oberland und das grosse Engagement von Dieter Jordi in den Sinn. Die Fronarbeit während Wochenenden brachte nicht nur den Bauernfamilien ein neues Dach über dem Kopf, sondern festigte auch die freundschaftlichen Bande im Rotary Club.
Rotary bildet
Der heute 87-jährige Peter erinnert sich mit Dankbarkeit an diese Zeit, bevor er gedanklich einen Sprung ins 21. Jahrhundert macht. Die 2000er-Jahre sind geprägt durch Wohlstand und Aufschwung, an den Lunches werden erstklassige Referate gehalten. Peter ist des Lobes voll über das abwechslungsreiche, aktuelle und ausgezeichnete Programm, das den Mitgliedern geboten wird. Gerade für ältere Leute sei die Teilnahme an den Lunches des RC Bern wie ein «Studium generalis», sagt er.
Es habe schon zur Zeit seines Grossvaters etwas bedeutet, Mitglied eines Serviceclubs zu sein, sagt er zum Abschluss unseres Gesprächs. Nicht umsonst hat er auf seine Geburt einen Silberbecher mit der Prägung des RC Bern und der Inschrift «Wer anderen dient, nützt sich selbst» erhalten. Noch besser gefällt Peter Giger indes die rotarische Vier-Fragen-Probe, die mit wenigen präzisen Worten viel aussage. Ist es wahr, ist es fair, wird es Freundschaft und guten Willen fördern und wird es dem Wohl aller Beteiligten dienen? Diese Haltung entspreche ihm, sagt Peter.
Bleibt noch die Frage, ob das rotarische «Generationenprojekt» in der Familie von Peter und seiner Frau Myrta weitergeführt wird. Von den vier Kindern ist keines rotarisch engagiert, an der Bilanz des RC Bern wird deswegen aber nicht gerüttelt. Peter sagt: «Dass der Gedanke des sozialen Engagements noch heute in Bern weit verbreitet ist, daran ist Rotary massgeblich beteiligt.»
Rotary-Boom in der Schweiz
In der Schweiz erlebte Rotary in den 1920er-Jahren mit der Gründung von zahlreichen Clubs einen regelrechten Boom. Zuerst am Start war der RC Zürich (5. Mai 1924), dann folgten der RC Bern (3.3.1925) und der RC Genève (4.4.1925).
Allein im Distrikt 1990 entstanden im Jahresrhythmus der RC Lausanne (19.5.1926), Neuchâtel (15.1.1927), Montreux-Vevey (8.2.1928), La Chaux-de-Fonds (10.3.1928), Biel/Bienne (21.4.1928), Thun (26.1.1929) und der RC Val-de-Travers (9.11.1929).
Die Jubiläen werden nicht nur festlich gefeiert, sie sind auch Anlass für überaus grosszügige Spenden für karitative Zwecke. Die drei grossen Clubs Bern, Genève und Lausanne haben alle eine Summe von 100000 Franken fixiert. Bern unterstützt mit dem Betrag die Stiftung Steinhölzli Bildungswege, die ihrerseits seit 100 Jahren Menschen mit Beeinträchtigungen mit grossem Betreuungsaufwand Menschen in den ersten Arbeitsmarkt integriert. Ähnlich ausgerichtet ist die Spende aus Genf: Sie geht an die Stiftung «Trajets», die seit 45 Jahren in neun Unternehmen, vier Tageszentren und vielfältigen Wohnstrukturen jährlich mehr als 400 Menschen mit psychischen Problemen begleitet. Lausanne schliesslich hat entschieden, mit 40000 Franken einen Erweiterungsbau einer Primarschule in Tananarive (Madagaskar) zu unterstützen und mit 60000 Franken fünf nepalesische Dörfer mit Trinkwasser zu versorgen.
Bereits wird auch Geschichte für die nächste Generation geschrieben: Der RC Genève hat zum Jubiläum eine Broschüre gedruckt, Bern und Lausanne arbeiten an einem Buchprojekt.