Antonio will das Augenlicht und das Leben retten

Sunday, May 4, 2025

Denise Lachat

Der Arztberuf ist seit seiner Kindheit der Traum von Antonio Bechara Ghobril. Augenarzt und Onkologe zu werden ist sein ultimatives Ziel. Wir haben das junge Ausnahmetalent, das auch Mitglied des RC Lausanne ist, zwischen seinem Wochenenddienst in der Clinique de Genolier VD und seiner Rückkehr nach Paris, wo er unter der Woche arbeitet, getroffen.

Antonio Bechara Ghobril unterdrückt diskret ein Gähnen, als er an diesem strahlenden Frühlingssonntag die Klinik Genolier VD verlässt. Der junge Arzt hat gerade seinen Bereitschaftsdienst in der Klinik beendet, wo er die ganze Nacht gewacht hat. Während wir mit dem Regionalzug nach Nyon hinunterkurven und weiter zum Flughafen Genf fahren, erfahren wir, dass Antonio oft Tag und Nacht arbeitet: Sein Wochenenddienst in Genolier kommt zu seiner Arbeitswoche im Augenspezialklinikum der Stiftung Adolphe de Rothschild in Paris hinzu. Antonio pendelt bis zu dreimal im Monat zwischen Frankreich und der Schweiz, um so viel Geld wie möglich zur Seite zu legen.

Die Chance von Philadelphia

Mit diesem Schweizer Ersparten kann er den nächsten Schritt in seiner Karriere als Arzt finanzieren, und zwar keinen geringen: Er wurde für ein zweijähriges Stipendium in der Augenonkologie am renommierten WillsEye Hospital in Philadelphia, USA, angenommen. Dieses Stipendium ist zwar unbezahlt, aber um seinen Traum zu verwirklichen und vitreoretinaler Chirurg und Augenonkologe zu werden, ist er bereit, den Gürtel enger zu schnallen und Tag und Nacht zu arbeiten. An den „Nonstop-Betrieb“ hatte er sich bereits während der Covid-Zeit gewöhnt und erzählt, dass er zwischen der Arbeit im Pôle de Santé im Vallée de Joux und den Wochenenddiensten in Genolier hin- und herpendelte. Nach dieser Zeit von Mai bis November 2020 sah er aus wie „ein Monster“, wie er lachend erzählt. Er zuckt mit den Schultern. «Ich werde mich sicher nicht über mein Schicksal beklagen. Schliesslich habe ich den Eid des Hippokrates geleistet.»

Ein Kindheitstraum

Während Hippokrates einen Schlüssel zum Verständnis der Ausdauer und Entschlossenheit des jungen angehenden Augenarztes liefern kann, ist sein persönliches Engagement zweifellos auch ein Resultat seiner Familiengeschichte. Antonio wurde auf den Kanarischen Inseln in Las Palmas als Sohn eines libanesischen Vaters und einer franco-libanesischen Mutter geboren. Die Eltern mussten ihr vom Krieg heimgesuchtes Land verlassen und bauten sich in Spanien ein neues Leben auf, ohne dabei zu vergessen, ihren Kindern die libanesische Neigung zu Perfektion mit auf den Weg zu geben. So lernte der Sohn nicht nur Arabisch und Französisch, sondern auch Spanisch, Englisch, Deutsch und Italienisch. Später kam noch Katalanisch hinzu, das für ein Medizinstudium in der katalanischen Hauptstadt Barcelona unerlässlich ist.

Das war im Jahr 2012. Doch Antonio hatte sich schon lange zuvor entschieden, Arzt zu werden. Sein Kindheitstraum: seine Mutter operieren zu können, um sie von den Hüftschmerzen zu befreien, die sie seit einem Autounfall plagten. Im dritten Jahr seines Medizinstudiums entschied sich Antonio jedoch für die Augenheilkunde statt für die Orthopädie und schloss sein Studium als Assistenzarzt im Vall d'Hebron-Krankenhaus ab, einem renommierten Zentrum für die Behandlung von Augenkrebs. Antonio erklärt seine Entscheidung so: «Mit der Behandlung von Augenkrebs kann ich nicht nur das Augenlicht, sondern auch das Leben der Patienten retten.»

Humanitäres Engagement

Nach seinem erfolgreich abgeschlossenen Medizinstudium in Spanien und auf der Suche nach einer Stelle für seine Facharztausbildung in Augenheilkunde, wurde Antonio in der Schweiz an der Clinique de Genolier und anschliessend im Vallée de Joux eingestellt. Nach anderthalb Jahren in der Inneren Medizin konnte er sich seinen Traum erfüllen: Im November 2020 wurde er bei SwissVisio Montchoisi in Lausanne aufgenommen, einer von 21 Augenkliniken, die zum Swiss Visio Network gehören. Das Swiss Visio Network deckt verschiedene Fachgebiete und chirurgische Eingriffe in der Augenheilkunde ab, darunter die Behandlung von Glaukom, Katarakt, Hornhaut und Netzhaut. Antonio, der sich als sehr gläubig bezeichnet, hielt sich an das Versprechen, das er Gott gegeben hatte: Falls er Augenarzt werden könne, würde die Hälfte seiner Ferien für humanitäre Einsätze zur Verfügung stellen.

Sein erster Freiwilligeneinsatz führte ihn 2021 im Rahmen des Himalayan Eye Project nach Kharikhola in Nepal. Die Begeisterung ist Antonio anzusehen, als er auf seinem Smartphone Fotos von diesem Erlebnis zeigt, darunter das einer lächelnden Frau mit strahlenden Augen, die einst weinend und mit einem völlig vereiterten Auge zu ihm gekommen war. Dieses erste Screening-Projekt hat den jungen Mann geprägt. «Die Menschen, Kinder wie Erwachsene, gingen bis zu fünf Stunden zu Fuss, um zur Untersuchung zu kommen.» Die Akten leitete er an das Universitätskrankenhaus von Dhulikhel weiter, um die weitere Behandlung sicherzustellen. Die in Kharikhola engagierte Organisation finanzierte auch den Bau eines Krankenhauses und setzt sich für den Bau einer Wasseraufbereitungsanlage ein, da Wasser Krankheiten übertragen kann. Dieses Projekt gehört übrigens zu den elf Finalisten, die für die internationale Aktion zum 100-jährigen Jubiläum seines Clubs nominiert sind: Der RC Lausanne, der 2026 sein 100-jähriges Bestehen feiert, wird am 4. Juli 2025 das Gewinnerprojekt auswählen.

Eintritt in den RC Lausanne

Neben seinen Solo-Einsätzen begleitete der Arzt auch den medizinischen Direktor von Swissvisio SA, André Mermoud, bei Freiwilligeneinsätzen: 2022 an die Elfenbeinküste, 2023 nach Mauretanien und 2024 nach Kamerun. André Mermoud ist Mitglied des Rotary Clubs Lausanne, ebenso wie Aude Moreillon, die Antonio als Patientin in Lausanne kennengelernt hat. Der Beitritt zu diesem Service-Club als Erweiterung seines humanitären Engagements war für ihn eine Selbstverständlichkeit. André und Aude wurden seine Paten, er betrachtet sie sogar als seine Familie, so stark sei die Verbundenheit, wie er sagt.

Seit Ende 2023 ist er selbst Mitglied des RC Lausanne. Da er heute jedoch in Paris arbeitet, unterstützt er als Ehrenmitglied des RC Paris Grenelle die Aktion eines mobilen ophtalmologischen Buses, der in benachteiligten Quartieren unterwegs ist, um den Menschen dort Augenuntersuchungen zu ermöglichen.

Genf – Paris

Genau, Paris. Wir sind am Flughafen Genf angekommen, wo Antonio das Flugzeug zurück nach Frankreich nehmen wird. Schlank und rank wie er ist, steigt er mit langen Schritten die Treppen hinauf und bedauert, dass Rolltreppen zur Bewegungsarmut unserer westlichen Gesellschaft beitragen. Der junge Arzt, der Ende August seinen 31. Geburtstag feiert, fastet übrigens seit seinem 20. Lebensjahr intermittierend. Diese Ernährungsweise hat bei Krebspatienten gute Ergebnisse gezeigt. Zur Vorbeigung isst Antonio an einem Tag 16 Stunden lang nichts und begnügt sich mit einer Flasche Wasser, während er auf seinen Abflug wartet.

Er trägt einen mit Unterlagen vollgepackten Rucksack – in den Wochen vor der Abschlussprüfung am 16. Mai in Interlaken BE nutzt er jede Gelegenheit zum Lernen. Er macht keinen Hehl aus seiner Nervosität, die offenbar selbst jemanden wie Antonio nicht verschont, der in seiner gesamten Laufbahn stets hervorragende, in der Regel sogar Bestnoten erzielt hat. Wenn dieser Artikel im Rotary-Magazin erscheinen wird, liegt der Prüfungsstress bereits hinter ihm. Antonio wird erneut auf humanitäre Mission nach Mauretanien gehen, sagt, dass er wieder Sport treiben, Tennis spielen, aufs Stand-up Paddel steigen sowie ins Fitnessstudio gehen möchte. Für seinen zweijährigen Aufenthalt in den USA hat er bereits Kontakt zum Rotary Club Philadelphia aufgenommen. Auf die Frage, wie er all das mit dem Stipendium unter einen Hut bringen will, antwortet er schlicht, dass Gott ihm auf seinem Weg schon so sehr geholfen habe, dass er voller Energie stecke. Er schultert seinen Rucksack, winkt lächelnd unter der Fluganzeigetafel zum Abschied und macht sich dann auf den Weg zum Gate. In Paris wartet bereits Arbeit auf ihn.

Der Rucksack ist vollgepackt mit Unterlagen: Rot. Antonio Bechara Ghobril steht kurz vor dem Abflug von Genf nach Paris