«Konstruktive Gespräche beruhen auf gegenseitigem Vertrauen», erklärt Rot. Sophie Steiner Kernen und ergänzt: «Erst, wenn man sich kennt und bereit ist, einander zuzuhören, kann man einen Dialog zielbewusst führen». Als Diplomatin war sie die letzten vier Jahre im EDA in Bern für die Koordination der bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und den USA zuständig.
Immer mehr Frauen sind in diplomatischen Diensten ihrer Länder tätig. Auch für die Schweiz?
Sophie Steiner Kernen: Diese Tendenz sehen wir in vielen Sparten, welche früher klassische Männerdomänen waren. Der «Concours diplomatique», das Auswahlverfahren des EDA, ist einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Frauen und Männern und zwischen den Sprachregionen verpflichtet. Im Verlauf der letzten Jahre sind folglich auch immer mehr Frauen zu Botschafterinnen ernannt worden. Diese Entwicklung freut mich sehr.
Wie haben Sie Ihr Berufsziel erreicht?
Voraussetzung, um in den diplomatischen Dienst eintreten zu können, ist nebst weiteren Kriterien ein abgeschlossenes Studium. Ich habe im Hauptfach Geschichte und im Nebenfach Slawistik, speziell russische Literatur, studiert. Nach meinen Studien an den Universitäten Neuenburg und Bern sammelte ich Praxiserfahrungen in einer Kommunikationsagentur, in der Schweizerischen Botschaft in Moskau sowie in der Vermögensverwaltung einer Grossbank. Dazwischen leistete ich Militärdienst als Militärpolizeigrenadier und war im Kompetenzzentrum Gebirgsdienst der Schweizer Armee in Andermatt als Dolmetscherin Deutsch-Russisch tätig. 2015 bestand ich den «Concours diplomatique» und trat im Frühjahr 2016 ins Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten ein.
«ALS KIND HABE ICH NICHT DAVON GETRÄUMT, DIPLOMATIN ZU WERDEN»
Was hat Sie motiviert, Diplomatin zu werden?
Ich war schon immer eine ausgesprochen neugierige Person, habe mich für Politik interessiert, war darauf aus, mehr über andere Menschen, andere Länder, andere Sprachen und andere Kulturen zu lernen. Als Kind habe ich aber nicht davon geträumt, Diplomatin zu werden, weil ich gar nicht wusste, was unter diesem Beruf konkret zu verstehen ist.
Ihr Vater, Rot. Rudolf Steiner, war als Solothurner Kantonsrat, später als Nationalrat während vielen Jahren in der Politik aktiv. Die politische DNA ist Ihnen sozusagen in die Wiege gelegt worden?
Sicher. Politik war in meinem Elternhaus immer ein Thema und ich hatte dank des Engagements meiner Eltern schon früh Gelegenheit, einen Blick hinter die Kulissen des politischen Geschehens zu werfen.
Ist es Ihnen erlaubt, persönliche, politische Standpunkte zu vertreten?
Grundsätzlich schon. Aber: als Diplomatin vertrete ich die Interessen der Schweiz, bringe die Standpunkte des Bundesrats in die Gespräche ein, gestützt auf die aussenpolitische Strategie. Auf lokaler oder regionaler Ebene dürfte ich mich in einer Partei engagieren und mich auch in ein politisches Amt wählen lassen. Das Prinzip der Gewaltentrennung setzt mir jedoch klare Grenzen.
Wikipedia erklärt: «Diplomatie ist die Kunst und Praxis des Verhandelns zwischen bevollmächtigte Repräsentanten verschiedener Gruppen oder Nationen.» Sind Sie mit dieser Definition einverstanden?
Ja, aber sie ist nicht vollständig. Verhandlungen sind ein Teil unseres Auftrags, sie sind ein Schritt, um ein Ziel erreichen zu können. In der Diplomatie hat die Pflege von Beziehungen zwischen Staaten und internationalen Organisationen Priorität. Erst, wenn man sich kennt und bereit ist, einander zuzuhören, kann man einen Dialog zielbewusst führen.
Die Schweizer Aussenpolitik handelt nach dem Grundsatz der Neutralität. Von unserer Diplomatie wird aber erwartet, dass sie Stellung bezieht, wenn Menschenrechte mit Füssen getreten werden oder Völkerrecht torpediert wird. Dürfen Diplomatinnen oder Diplomaten Klartext reden?
Absolut. Wir vertreten die Grundwerte der Schweiz, wie sie in unserer Bundesverfassung beschrieben sind, sowie des Völkerrechts. Das ist umso wichtiger in einer Zeit, in der Völkerrecht und Menschenrechte zunehmend unter Druck sind. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass der Macht des Stärkeren die Rechte des Schwächeren gegenübergestellt werden. Natürlich gilt in jedem Fall: «C’est le ton, qui fait la musique.»
Es ist anspruchsvoll, seinem Vis-à-vis zu erklären, was Sache ist, ohne dabei verletzend zu wirken.
Konstruktive Gespräche beruhen auf einem gegenseitigen Vertrauen. Ist diese Vertrauensbasis vorhanden, darf man auch einmal sagen: Nein, bis hierher und nicht weiter.
« SACHLICH ZU BLEIBEN, SCHÜTZT VOR EMOTIONEN»
Albert Schweitzer hat gesagt: «Die beste Diplomatie ist die Sachlichkeit. Sachlichkeit bewahrt vor Überspanntheit.» Inwiefern trifft seine Erkenntnis auf Ihre Tätigkeit zu?
Sehr gut. Sachlich zu bleiben, schützt vor Emotionen. Persönliche Befindlichkeiten dürfen nicht ins Spiel gebracht werden. Entscheidend ist, dass man ehrlich ist und transparent bleibt.
Wie schwierig ist es, Emotionen im Griff zu behalten?
Das ist eine Frage des individuellen Profils. Wenn man sich im Klaren ist, weshalb man in einer Verhandlung diese oder jene Position bezieht, fällt es einem leichter, ruhig zu bleiben.
Etwas anders hat der britische Politiker Robert Anthony Eden sein Verständnis von Diplomatie formuliert: «Wahre Diplomatie ist die Fähigkeit, auf eine so taktvolle Weise nein zu sagen, dass alle Welt glaubt, man hätte Ja gesagt.» Eden war einer von Churchills Aussenministern. Wie hätten Sie ihm geantwortet, wenn Sie dazu die Gelegenheit gehabt hätten?
Eden hat mit seiner Aussage ein Vorurteil zementiert. Ich nehme seine Formulierung mit einem Schmunzeln zur Kenntnis.
Während den letzten vier Jahren amtierten Sie im EDA in Bern als für die USA verantwortliche, stellvertretende Regionalkoordinatorin Nord- und Zentralamerika. Wofür waren Sie auf dieser Stufe zuständig?
Ich koordinierte die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten, amtierte als Ansprechpartnerin für die amerikanische Botschaft in Bern und gleichzeitig für die Schweizerische Botschaft in Washington. Über meinen Schreibtisch lief das meiste, was in den einzelnen Bereichen der Bundesverwaltung etwas mit den USA zu tun hatte.
Anfangs März 2023 werden Sie als Diplomatin in der Schweizerischen Botschaft in Bangkok eine neue Herausforderung antreten. Verraten Sie uns, wie es zu dieser Versetzung gekommen ist?
Diplomatinnen und Diplomaten, konsularische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie DEZA-Angestellte unterstehen einer Versetzungspflicht. Sie müssen alle drei bis vier Jahre ein neues Arbeitsgebiet übernehmen. Vakanzen werden ein Jahr voraus ausgeschrieben. Man muss sich formell um eine Stelle bewerben. Um an eine Wunschdestination versetzt zu werden, braucht es auch etwas Glück. In Bangkok ist der Botschafter zusammen mit zwei Diplomaten für die bilateralen sowie die multilateralen Beziehungen zwischen unserem Land und Thailand, Kambodscha und Laos zuständig. Vom 1. Januar 2017 bis Ende Juni 2018 arbeitete ich in der Schweizerischen Botschaft in Jakarta als Diplomatische Stagiaire. Aus dieser Zeit im asiatischen Raum habe ich also bereits eine Ahnung, was in Thailand auf mich zukommen wird.
Vor kurzem sind Sie zum zweiten Mal Mutter geworden. Wie schaffen Sie es, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren?
Mit viel Organisation und vor allem mit der Unterstützung durch meinen Ehemann. Seit der Geburt unseres ersten Kindes waren wir beide in Teilzeitpensen tätig. Das ermöglichte uns eine gewisse Flexibilität.
Sie müssen sich oft mit den Gepflogenheiten in anderen Ländern anfreunden. Was überwiegt in Ihrem Beruf: die Lust oder die Last, sich in einem neuen Umfeld bewähren zu dürfen oder zu müssen?
Eindeutig die Lust. Würde ich neue Herausforderungen als Last empfinden, wäre die Diplomatie der falsche Beruf. Klar, es gibt Tage, da sind gewisse Aufgaben eine Last. Doch das ist wohl in jedem Beruf so. Bei mir überwiegen aber immer das Interesse und die Chance, Neues kennenlernen zu dürfen, an einem andern Ort etwas bewegen zu können.
«ICH KANN MICH MIT DEN GRUNDWERTEN VON ROTARY IDENTIFIZIEREN»
1999/2000 haben Sie mit Rotary Youth Exchange ein Austauschjahr im schwedischen Sundsvall verbracht. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Jahr?
Das war ein grossartiges Erlebnis, das als Bereicherung meiner Jugendzeit stets in bester Erinnerung bleiben wird. Bis heute pflege ich Freundschaften aus jener Zeit und auch die Sprachkenntnisse sind geblieben.
Vor zwei Jahren wurden Sie in den RC Olten aufgenommen. Eines der Schwerpunktthemen von Rotary International ist die Friedensförderung. Als Diplomatin dürften Sie sich im rotarischen Umfeld besonders wohl fühlen. Richtig?
Dem ist so. Ich kann mich mit den Grundwerten von Rotary identifizieren. Sie stimmen auch mit meinen beruflichen Zielsetzungen überein.
Werden Sie Rotary auch in Thailand verbunden bleiben?
Ich hoffe es. In Bangkok gibt es verschiedene Rotary Clubs, auch englischsprachige und sogar einen deutschsprachigen. Wann immer ich Zeit finden werde, möchte ich an ihren Meetings teilnehmen. Auf diese Weise neue Beziehungen aufbauen zu dürfen zu Personen, die mit meinem Beruf kaum etwas zu tun haben, sehe ich als eine Win-Win-Situation.
PEOPLE OF ACTION Sophie Steiner Kernen, geboren am 18. September 1983, besuchte die Kantonsschule in Olten. Zwischen ihren Studien der slawischen Sprach- und Literaturwissenschaft und Ethnologie an der Universität Neuenburg sowie der Geschichte an der Universität Bern mit einer Lizenziatsarbeit im Bereich Wirtschaftsgeschichte, absolvierte sie ein Austauschsemester an der Universität Kazan (Russland). Anschliessend sammelte sie Praxiserfahrungen in einer Kommunikationsagentur, in der Politischen Abteilung der Schweizerischen Botschaft in Moskau und in der Vermögensverwaltung einer Schweizer Grossbank. In der Schweizer Armee leistete sie Dienst als Militärpolizeigrenadier und arbeitete als Dolmetscherin für das Kompetenzzentrum Gebirgsdienst der Armee. 2015 bestand sie den «Concours diplomatique» des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Seither war sie unter anderem bei der Politischen Direktion und im Staatssekretariat des EDA in Bern und in der Schweizerischen Botschaft in Jakarta tätig. Ab März 2023 wird sie in der Schweizer Vertretung in Bangkok als Diplomatische Mitarbeiterin wirken. Sophie Steiner Kernen ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Seit zwei Jahren ist sie Mitglied des Rotary Clubs Olten (Klassifikation: Diplomatie). |