Ob Testament, Pflichtteil oder Generationenkonflikt: Erben ist nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein hoch emotionales Thema. Gerade dann, wenn das Leben eines Menschen zu Ende geht, zeigt sich, wie komplex familiäre Konstellationen und juristische Fallstricke sein können. Der Solothurner Rotarier Dr. Paul Eitel gilt als einer der profiliertesten Erbrechtsexperten der Schweiz. Ein Gespräch über Missverständnisse, Mythen und die Frage, wie man das Weitergeben so gestaltet, dass es dem Leben dient.
Herr Dr. Eitel, gibt es einen Erbfall, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Eigentlich sogar mehrere, die sozusagen in zwei Fallgruppen eingeteilt werden können. Zur einen gehören die Fälle, in denen sich die Parteien ausgesprochen aggressiv, manchmal sogar geradezu hasserfüllt gegenüberstehen (was vor allem dann belastend ist, wenn sie Geschwister sind). Zur anderen gehören die Fälle, in denen im Vorfeld damit gerechnet werden muss, dass es zu Meinungsverschiedenheiten kommt, solche aber entweder gar nicht erst entstehen oder aber bald einmal einvernehmlich bereinigt werden können (was vor allem dann erfreulich ist, wenn es sich bei den Parteien um Angehörige von Patchwork-Familien handelt).
Was sind aus Ihrer Sicht die häufigsten Irrtümer, wenn es ums Erben geht?
„Technisch“ die falschen Vorstellungen über die Tragweite der so genannten Vorempfänge oder Erbvorbezüge, vor allem bei Grundstücken; sowie darüber, wer überhaupt und wieviel erbt, wenn „gar nichts gemacht“ wird. „Emotional“ die enttäuschten Erwartungen an die Nachkommen, wonach diese „auf jeden Fall“ die Verfügungen der Eltern respektieren würden.
Welche typischen Konflikte erleben Sie in Ihrer Praxis, gerade auch unter Geschwistern?
Fast immer konfliktträchtig sind Konstellationen, in denen ein Elternteil die Kinder ungleich behandelt, z.B. indem er in einem Testament das eine zugunsten der anderen auf den Pflichtteil setzt (oder gar wegen schwerer Verletzung familienrechtlicher Pflichten enterbt), oder indem den Kindern ungleich hohe Schenkungen ausgerichtet werden (und erst noch versucht wird, diese zu verschleiern).
Hat sich das Erbrecht durch gesellschaftliche Entwicklungen verändert, etwa durch Patchwork-Familien oder längere Lebensspannen?
Das Erbrecht selber hat sich nicht erheblich verändert, wenngleich bemerkenswert ist, dass anlässlich der letzten Gesetzesrevision (die aktuellsten neuen Bestimmungen gelten seit dem 1. Januar 2023) infolge der Abschaffung der Elternpflichtteile und (vor allem) der Reduktion der Nachkommenpflichtteile und der damit verbundenen Erweiterung der Verfügungsfreiheit die Erblasser und neben diesen die überlebenden Ehegatten zu den Gewinnern gehören und die Konkubinatspartnerinnen und -partner zu den Verlierern. Umso wichtiger ist es seither, dass die Erblasser einen allfälligen Handlungsbedarf (der gerade bei Patchwork-Familien häufig gegeben ist) erkennen und sachgerecht Gebrauch machen von ihrer Verfügungsfreiheit (was häufig nicht der Fall ist, wenn die Erblasser besonders betagt sind und deshalb allzu spontan und unbedacht agieren oder übermässig beeinflussbar sind).
Und persönlich gefragt: Was bedeutet Ihnen Gerechtigkeit im Kontext von Erbschaften?
Sind Nachkommen vorhanden, bin ich mehr und mehr zum Schluss gekommen, dass wirtschaftliche Gleichbehandlung gerechter oder jedenfalls weniger ungerecht ist als wirtschaftliche Ungleichbehandlung und damit ein eher formales Gleichbehandlungsprinzip im Vordergrund steht. Sind keine Nachkommen vorhanden, stehen demgegenüber eher das Leistungsprinzip und das Bedürfnisprinzip im Vordergrund (und zwar in einem weiten Sinn verstanden, d.h. auch mit Blick auf Vergabungen an Institutionen). Unabhängig davon ist nach meinem Dafürhalten vor allem bei langjährigen Ehen stets auch auf die Ehegatten besondere Rücksicht zu nehmen (und zwar, so seltsam das zunächst klingen mag, auch auf die vorverstorbenen, wie etwa dann, wenn die überlebenden an eine weitere Heirat denken).
Zur Person
Prof. Dr. iur. Dr. h.c. Paul Eitel, Mitglied im RC Solothurn, zählt zu den profiliertesten Erbrechtsexperten der Schweiz. Er ist Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Erbrecht und Partner der Kanzlei Bracher Schönberg Eitel Rechsteiner in Solothurn. Bis zu seiner Emeritierung 2023 war Paul Eitel ordentlicher Professor für Privatrecht an der Universität Luzern. Er ist Mitherausgeber der Fachzeitschrift successio, Co-Leiter der Ausbildungskurse für Fachanwältinnen und Fachanwälte Erbrecht des Schweizerischen Anwaltsverbands und Mitglied der Expertenkommission, die seit 2017 das Bundesamt für Justiz bei der Ausarbeitung der einzelnen Vorlagen für die etappierte Revision des Erbrechts berät. |