Der Rotarier Sébastien Aeschbach repräsentiert die vierte Generation bei Aeschbach Schuhe, einem Unternehmen, das 1904 von seinen deutschschweizer Urgrosseltern in Genf gegründet wurde. Ein Gespräch mit seinem Direktor, der sich persönlich für nachhaltigen und lokalen Konsum in einem schwierigen Umfeld engagiert. Denn: In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Verkaufsstellen für Mode und Accessoires in der Schweiz gesamthaft um 30 Prozent gesunken.
Eigentlich könnte man meinen, dass der berufliche Weg für einen Aeschbach-Sohn, der in der vierten Generation ein traditionsreiches Familienunternehmen repräsentiert, vorgezeichnet ist. Doch auch wenn Sébastien Aeschbach sagt, dass er seit seiner Kindheit mit Schuhen zu tun hatte, hat ihm sein Vater Christian nie etwas aufgezwungen. Der Sohn ist ihm dafür sehr dankbar: „Ich hatte die volle Entscheidungsfreiheit“. So studierte Sébastien Wirtschaftswissenschaften und arbeitete für Nestlé, zunächst im Finanzsektor, dann im Marketing als Verantwortlicher für die Tafelschokolade der Marke Cailler.
Diese letzte Erfahrung in der Betreuung einer Marke motivierte ihn, 2008 als Marketing- und Verkaufsleiter in das Familienunternehmen einzusteigen. Er engagierte sich insbesondere für den Wandel der Marke hin zu einem modischeren und stärker designorientierten Profil, der 2020 mit dem neuen Ladenkonzept und dem neuen Markenimage seinen Höhepunkt erreichte.
Sébastiens Vater hatte vor allem das Sportsegment bei Aeschbach aufgebaut. Es muss nicht einfach gewesen sein zu sehen, wie sein Sohn diese Entwicklung - wenn auch nur sanft - korrigierte. Aber er schenkte ihm sein Vertrauen, stand ihm zur Seite und ist auch heute noch Teil der Geschäftsleitung. „Wir arbeiten als Familie“, bestätigt Sébastien bei einem Kaffee in den Büros des Unternehmens an der Place du Molard in Genf. Nur wenige Schritte entfernt befindet sich eine der 19 Verkaufsstellen, die das Unternehmen heute
vor allem in der Westschweiz
betreibt, zusätzlich mit einem Geschäft in Lugano und auch in Basel.
Von Winterthur nach Genf
Die Geschichte eines Familienunternehmens zu erzählen, bedeutet auch ein wenig die Geschichte eines Landes - oder sogar darüber hinaus - nachzuzeichnen. Die Umwälzungen, die die 120-jährige Geschichte des 1904 in Genf gegründeten Schuhhauses Aeschbach prägten, sind ein Beleg dafür. Als Otto und seine Frau Rosa beschlossen, Winterthur und das Familienunternehmen zu verlassen, um sich in Genf selbstständig zu machen, ahnten sie nicht, dass sie dort ein Unternehmen gründen würden, das heute im gesamten Genferseegebiet bekannt ist. Ursprünglich Waffenschmiede, übernahmen sie ein etwa 20 m2 grosses Schuhgeschäft, das in Konkurs gegangen war, und verkauften dort Luxusschuhe.
Otto und Rosa Aeschbach hatten offensichtlich ein gutes Gespür für den Handel und die Geschäftsführung: Sie hielten nicht nur der Konkurrenz von vier anderen Schuhgeschäften in der Rue de la Corraterie stand, sondern konnten es sich vier Jahre später bereits leisten, ihr Geschäft an die prestigeträchtige Rue du Rhône zu verlegen.
Doch dann kam, bumm, der Erste Weltkrieg, gefolgt von den 1920er Jahren und der Wirtschaftskrise. Es war die Zeit der Mobilmachung, der Rationierung und der Verteilung der „ Volkssuppe “ in Genf - nicht gerade die Zeit, um sich amerikanische Luxusschuhe zu leisten. Das Ehepaar Aeschbach wusste sich anzupassen, indem es auf günstigere Schweizer Schuhe umstellte.
Der eigentliche Aufschwung des Unternehmens begann nach dem Zweiten Weltkrieg in einem Markt, der nun über die Landesgrenzen hinausging und es ermöglichte, Schuhe aus dem Ausland, unter anderem aus Italien, zum Verkauf anzubieten. In der Zeit des starken Wirtschaftswachstums der „Glorreichen 30er-Jahre“ wandten sich die beiden Söhne von Otto und Rosa, Robert und Hermann, vom Luxus ab und einem erschwinglichen Angebot zu. Die Philosophie von Schuhen für die ganze Familie, die von sehr guter Qualität sind, eine lange Lebensdauer bieten, in Europa hergestellt werden und zu erschwinglichen Preisen verkauft werden, gilt auch heute noch.
Achterbahnfahrt für den Detailhandel
Ende der 60er-Jahre stiegen die Söhne von Robert und Hermann in das Geschäft ein. Anfang der 70er wurde die Geschäftsleitung von ihren jeweiligen Söhnen auf fünf Mitglieder erweitert, zusammen mit Christian, dem Vater von Sébastien, seinem Cousin Bernard und seinem Bruder Jean-Pierre. Die fünf Männer bauten das Unternehmen ab den 1970er-Jahren stark aus und zogen insbesondere in die ersten Einkaufszentren ein.
Die Zeit zwischen 1990 und 2000 markierte erneut eine schwierige Zeit für den Detailhandel: Aufgrund der Entwicklung des internationalen Handels mussten fast alle Einzelhändler aufgeben und ihr Geschäft an grosse Konzerne verkaufen - Aeschbach gehörte zu den Ausnahmen, die ihre Präsenz aufrechterhalten konnten; das Unternehmen baute sogar das Ladennetz in der Romandie aus. Mit dem Aufkommen des Online-Handels um 2010 und der Etablierung grosser Plattformen wie Amazon und Zalando haben sich die Schwierigkeiten für den Einzelhandel jedoch noch einmal drastisch verschärft. Die Folge: In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Verkaufsstellen für Mode und Accessoires in der Schweiz gesamthaft um 30 Prozent gesunken.
Studien zufolge liegt der durchschnittliche Online-Anteil in der Schweiz heute bei 25% bei Schuhen, 30% bei Bekleidung und 60-70% bei Haushaltsgeräten. Seit 2011 wird auch bei Aeschbach online verkauft, der Anteil liet bei rund 15 Prozent. 2023 festigte Aeschbach seine Position auf dem Schuhmarkt, unter anderem durch die Übernahme von fünf Verkaufsstellen bei Manor.
Lokale Einkäufe fördern
Aeschbach geht also mit der Zeit und bietet digitale Mittel wie einen Chatbot an, um die Effizienz zu steigern und einen Mehrwert an Informationen sowohl für das Verkaufspersonal als auch für die Nutzer zu bieten. Nichtsdestotrotz blickt Sébastien sehr kritisch auf das aktuelle Konsumverhalten. „Die Welt ist genauso verrückt wie vor der Covid-Krise“, sagt er. Er engagiert sich an mehreren Fronten, um die Kunden dazu zu motivieren, lokal und nachhaltig einzukaufen. Unter anderem hat er die Plattform Genève Avenue gegründet. Sie umfasst rund 200 Geschäfte in der Stadt und bietet unter anderem Geschenkkarten, mit denen man lokal einkaufen kann, oder auch 5 % Cashback auf den Kassenbon beim nächsten Einkauf in einem Geschäft, das zu den „ Lokalisten “ gehört. Sébastien zuckt mit den Schultern: „Die Ladenbesitzer kämpfen für ihre Zukunft, aber irgendwann brauchen sie auch die Unterstützung der Politik, sei es durch die Einführung eines ökologischen Steuersystems auf nationaler Ebene oder eines City-Managements auf lokaler Ebene. "Denn ja, die Bauern pflegen die Landschaft, die Ladenbesitzer pflegen die Stadt“.
Engagement hat Tradition
Der Sinn für soziales Engagement hat übrigens eine lange Tradition in der Familie Aeschbach. Sie sponsert zum Beispiel seit jeher den Genfer Escalade-Lauf, der für Sébastien „ diesen familiären Touch hat, der unserem Unternehmen gleicht.“ Aeschbach beschäftigt heute 200 Personen und bildet jährlich 15 Lehrlinge aus.
Die Mitgliedschaft in einem Serviceclub für Menschen mit lokalem Engagement war daher nur natürlich: Sébastiens Grossvater war bereits Mitglied im Rotary Club, sein Onkel Jean-Pierre ist es ebenfalls. Der Vater und ein Cousin sind Mitglieder im Lions Club. Sébastien ist seit 2013 Mitglied im Rotary Club Genève Lac.
Anzumerken ist noch, dass in der Geschichte der Aeschbach-Schuhe viel von Männern die Rede ist. Dennoch war es eine Frau, die eine Schlüsselrolle spielte, als die Zukunft des Unternehmens in den 1920er-Jahren auf dem Spiel stand. Sébastien erzählt mit einem liebevollen Lächeln, dass seine Urgrossmutter Rosa angeblich heftig auf den Tisch geklopft haben soll, als ihr Mann den Bankiers das Ende des Geschäfts verkünden wollte. „Solange die Familie genug zu essen hat, solange machen wir weiter“, soll sie gesagt haben. Sie, die schon während der ersten Mobilmachung in der Schweiz die Zügel der Geschäftsführung in der Hand hielt, glaubte offensichtlich an die Zukunft.
Heute ist es an der vierten Generation, diesen Enthusiasmus weiterzutragen, vielleicht auch an einer fünften. Sébastien hat selbst drei Kinder im Alter von 4, 8 und 10 Jahren. Er wird sie ihre Berufe genauso frei wählen lassen, wie er es konnte, wohl wissend, dass die Arbeitswelt Umwälzungen erleben wird, wie das in der Modebranche der Fall ist. „In den nächsten zehn Jahren werden 40 Prozent der Berufe, die wir heute kennen, als Folge der künstlichen Intelligenz verschwinden."