Rot. Benjamin Righetti teilt seine Zeit zwischen seinen Tätigkeiten als Konzertmusiker, Titularorganist der Kirche Saint-François und als Orgellehrer an der Musikhochschule Lausanne auf. Wir haben den Musiker, der seine Leidenschaft für die Königin der Instrumente lebt und dabei eine glänzende Karriere macht, an einem seiner Arbeitsorte getroffen. Rendez-vous in der Kirche Saint-François in Lausanne.
Bevor Benjamin Righetti die Holztreppe der Kirche Saint-François hinunterrennt zum Kirchenschiff, wo zwei Studenten am Klavier und an der Hauptorgel bereits auf ihn warten, deutet er lachend auf das Notizheft der Journalistin. „Tut mir leid wegen der Notizen, das ist wohl ein rechtes Durcheinander“, ruft er. In der Tat, es ist ein rechtes Durcheinander, doch das ist bestens so.
Ansteckende Begeisterung
Schon nach wenigen Augenblicken mit dem jungen Titularorganisten ist klar, dass wir es hier mit einem echten Passionierten zu tun haben, dessen Enthusiasmus übersprudelt und ansteckt. Lassen Sie sich von ihm eine Stunde lang diese schöne Lausanner Kirche mit ihren vier Orgeln zeigen, drei fest installiert und eine mobil, und stellen Sie ihm Fragen: Sie werden begeistert immer neue Facetten dieser faszinierenden bunten Welt entdecken. Mal erzählt der Musiker etwas über die Geschichte der Instrumente, mal setzt er sich vor eine der Orgeln und lässt seine Hände über die Tasten gleiten, zieht Register, lädt das Ohr zum Vergleichen von Harmonien ein, und lässt uns in den „Bauch“ der riesigen Hauptorgel mit ihren 5346 Pfeifen hineintreten. Dort entdecken wir die über fünf Meter hohe Orgelpfeife, die den tiefsten Ton, nahe am Infraschall, erzeugt, und am anderen Ende der Tonskala den kleinen "Knirps", der kaum einen Zentimeter misst und mit einer Frequenz von fast 10000 Hertz schwingt. Der Organist zeigt uns das Werkzeug, mit dem er die zwei bis drei Pfeifen, die es jede Woche zu justieren gilt, abklopft. Er erzählt, dass die Hauptorgel zweimal im Jahr vom Orgelbauer gestimmt wird und alle 25 Jahre einer Generalüberholung unterzogen wird. Diese Arbeit dauert vier Monate.
Wie ein Dirigent
5346 Orgelpfeifen: Das erklärt, warum diese Instrumente „die preiswerteste Lösung in der Zeit vor der Erfindung der Elektrizität waren, denn sie verkörpern ein ganzes Symphonieorchester und können mit ihrer gewaltigen Klangpräsenz mehrere hundert Personen begleiten“. In einem Wort: Eine Orgel ist zwar teuer in der Anschaffung, doch danach muss nur noch ein einziger Lohn gezahlt werden. Und zwar jener des Organisten, der gleichzeitig auch Dirigent ist, sofern es sich um einen Berufsmusiker handelt. Genau genommen waren es früher zwei Löhne, die bezahlt werden musten. Früher wurde das Gebläse, das die Luft in die Rohre leitet, von einem Souffleur betätigt.
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wird diese Arbeit von einem Elektromotor erledigt, aber die manuelle Methode ist im Prinzip immer noch möglich und wird in Saint-François manchmal „ einfach so zum Spass“ angewendet. Benjamin zeigt sie uns: Er zieht an dem dicken Seil, das auf der Seite der italienischen Orgel herausschaut. Die Orgel befindet sich auf der rechten Seite des Kirchenschiffs, gegenüber der spanischen Orgel auf der anderen Seite des Gotteshauses. Das ist eine klassische Anordnung für katholische Messen, wie uns der Organist erklärt. Da es sich bei der Liturgie um einen Dialog handelt, begleitet die Orgelmusik diesen Dialog - und der Organist wechselt von einem Instrument zum anderen.
Während der Reformation verboten
Es gibt jedoch einen Haken: Lausanne ist die Hauptstadt eines reformierten Kantons. Da die Orgel von den Reformatoren als katholisches Instrument und zudem als Luxusobjekt betrachtet wurde, war sie in den reformierten Kantonen wie der Waadt, Neuenburg und Genf rund 200 Jahre lang (1550 - 1750) schlicht verboten; sie wurde aus den Gotteshäusern entfernt - und zerstört. Nachdenklich stellt Benjamin fest, dass es den religiösen Extremismus, der heute unsere westlichen Gesellschaften schockiert, früher auch bei uns gab. Jean Calvin, der grosse Genfer Reformator, soll sich übrigens damit gebrüstet haben, dass mit dem Holz der Orgel aus der Genfer Kathedrale zwei Winter lang Häuser geheizt wurden, während das Metall der Orgelpfeifen zur Herstellung von Nachttöpfen und anderen Utensilien für das neue Spital diente – ganz im Sinne der Umverteilung des Reichtums einer Elite unter den Armen.
Programmieren? Ja, warum nicht?
Die Orgel wird schon lange nicht mehr als ein elitäres Instrument angesehen. Benjamin stellt sogar fest, dass im Gegensatz zu anderen Instrumenten der klassischen Musik „die Welt der Orgel von passionierten Menschen aus wohlhabenden wie aus
einfachen Verhältnissen gleichermassen geprägt ist“. Er selbst sieht sich ein wenig als „Geek“. So ist es kein Zufall, dass er neben einer Reihe von Klassikinstrumenten, teils aus der Renaissance, auch mehrere Synthesizer besitzt und seinen Computer zum Programmieren von Orgelmusik verwendet. Bei einem Konzert in Hamburg begleitete er sogar live die Computerdateien, die er im Vorfeld vorbereitet hatte. „Das war eine Menge Arbeit“, betont er. Sein Lächeln verrät, wie sehr es ihm Spass macht, neue Wege zu gehen, Codes zu brechen und musikalische Projekte mit diesem hyperkomplexen Instrument auszuprobieren. Es ist, wie er sagt, „das einzige in der klassischen Abteilung, das sich noch weiterentwickelt“. Es lässt zudem alle Musikstile zu. Benjamin begleitet Sänger und spielt zusammen mit Saxophon, Violine oder Panflöte. Und auch wenn man die Orgel mit Kirchen in Verbindung bringt, wo Benjamin sie übrigens dank seiner Mutter, einer Pfarrerin, entdeckt hat, ist das Instrument auch in Konzerthallen auf der ganzen Welt zu finden.
Notre-Dame de Paris zu seinem 25. Geburtstag
Auf Reisen lernt der Musiker die Orgeln kennen, auf denen er spielen wird. Ist es nicht schwierig, nicht sein eigenes Instrument benutzen zu können, wie zum Beispiel ein Violinist? Benjamin schüttelt den Kopf. "Im Gegenteil, es ist sehr bereichernd, jedes Mal ein neues Instrument zu entdecken. Ausserdem reise ich so mit leichtem Gepäck!" Er lässt sich auch von den Konzertorten berühren, von denen viele historische Bedeutung haben.
So kann man sich leicht vorstellen, wie bewegt er war, als er an seinem 25. Geburtstag eingeladen wurde, auf der Orgel von Notre-Dame in Paris zu spielen. „Ich hatte die Kathedrale in der Nacht vor dem Konzert ganz für mich allein!“ Er denkt auch gerne an die unglaublich schöne Sagrada Familia in Barcelona und die Saint-Ouen-Kirche in Rouen zurück und spricht über den Wert des zwischenmenschlichen Kontakts, für den er sich gerne Zeit nimmt. Denn ein Organist verbringt zwangsläufig mehr Zeit an einem Ort als ein Musiker, der mit seinem eigenen Instrument unterwegs ist.
„Gemeinsam etwas zu gestalten, ist bereichernd und führt zu einem besseren Ergebnis“. Dieser Satz erinnert ihn an Rotary und dessen Werte, die ihm sehr am Herzen liegen. Seit zwölf Jahren ist er Mitglied des RC Lausanne-West, wo er beruflich tätig ist, während er in Martigny im Wallis wohnt.
Er, der die Berge und das Klettern liebt, wird dort direkt Zeuge des Klimawandels, was seine Überzeugungen in Sachen Umweltschutz noch weiter verstärkt. Er bemüht sich, Flugreisen möglichst zu vermeiden und stattdessen mit dem Zug zu reisen. Ohne Weiteres trägt er bei manchen Proben auch Mütze und Daunenjacke, weil er es für selbstverständlich hält, dass eine Kirche nicht über 18 °C geheizt wird.
Zur Orgel im Alter von 10 Jahren
Benjamin Righetti ist 1982 geboren und wuchs in einer Familie auf, in der Musik eine wichtige Rolle spielte; seine Mutter spielte Querflöte, seine Grossmutter Klavier. Der kleine Benjamin begann mit acht Jahren Klavier zu spielen, im Alter von zehn wandte er sich dem Orgelspiel zu. Weshalb die Orgel? Weil ihn dieses Instrument „sofort angesprochen“ hat. Es folgte eine erfolgreiche Karriere als Musiker und Solist mit über 800 Konzerten. Mit nur 30 Jahren wurde er, den die "Revue musicale de Suisse romande" als „einen der brillantesten Organisten seiner Generation“ bezeichnete, unter 30 Bewerbern zum Titularorganisten von Saint-François ernannt, was er mit einer Stelle als Orgellehrer an der Musikhochschule in Lausanne kombiniert. Er ist auch Mitglied der Stiftung Organopole (https://organopole.com) in Saint-François, die sich Besuchen, Forschungsprojekten rund um die Orgel und natürlich Konzerten widmet. „Man kann sie sich auf Video anhören, aber es ist viel besser, wenn man sich auf den Weg macht und sie in echt hört.“
Wie er seine Arbeit liebt! Er liebt es, historische Recherchen durchzuführen, junge Menschen zu unterrichten, Konzerte zu geben, freut sich riesig, dass er es geschafft hat, die beiden Seitenorgeln installieren zu lassen in dieser Kirche, die eines der breitesten Kirchenschiffe Europas aufweist und darum eine wunderbare Resonanz erzeugt. Und auch wenn er ein „Geek“ sein mag: Er liebt es doch, auf diesen mechanisch angetriebenen Instrumenten zu spielen, die sowohl das Gehör als auch den Tastsinn ansprechen. Das musikalische Ergebnis sei persönlicher, das Verständnis für alte Musik werde so besser gefördert, ergänzt Benjamin. Aber jetzt muss er wirklich los, seine Schüler warten auf ihn.