Viel Geld für Entminung, wenig Geld für die Opfer

ponedjeljak, 23. oktobar 2023.

red

Wenn der Distrikt 1990 am 11. November zur Rotary UNI in Bern einlädt, wird auch die «Rotary Humanitarian Mine Action Coalition», kurz: Rotary HMAC, mit am Start sein. Vor rund einem Jahr von Rot. Hansjörg Eberle und Rot. Reto Stump aus der Taufe gehoben, ist das Bündnis vielen Rotariern nach wie vor kein Begriff. Reto Stump, Stiftungsratspräsident von mine-ex, einem von insgesamt fünf HMAC-Partnern, verrät uns im Interview mehr.

Lieber Reto, vielleicht skizzierst Du uns kurz: Was verbirgt sich hinter «Rotary HMAC»?

Die Rotary Humanitarian Mine Action Coalition ist eine Plattform von Experten und Nichtregierungsorganisationen. Wir kommen alle aus unterschiedlichen Bereichen – die FSD beispielsweise setzt sich für die Entminung ein, mine-ex hingegen hat die Opfer der Minen im Fokus. Was uns vereint, ist ein grosses gemeinsames Ziel: Wir möchten die Auswirkungen von Landminen und explosiven Kriegsüberresten verringern – sei es in sozialer, wirtschaftlicher oder ökologischer Hinsicht.

Wer ist mit dabei?

Ganz am Anfang der Idee standen Rot. Hansjörg Eberle und ich. Hansjörg ist Geschäftsführer der Fondation Suisse de déminage (FSD), ich selbst bin Stiftungsratspräsident von mine-ex. Im Zusammenhang mit dem Rotary Institute, das im November vergangenen Jahres in Basel stattfand, keimte in uns die Idee eines gemeinsamen Engagements. Minenopfer und Entminung, das gehört doch einfach, fanden wir und suchten nach Partnern. Fündig wurden wir schliesslich in Welt ohne Minen (WOM), DIGGER und der Urs Endress Stiftung.

Als Rotarierin ist mir mine-ex natürlich bekannt, Reto. Aber wofür engagieren sich die vier anderen Partner?

Die FSD lokalisiert und zerstört Kampfmittel, sie führt Aufklärungskampagnen durch und leitet sozioökonomische Hilfsprojekte für Minenopfer. Welt ohne Minen fördert humanitäre Minenräumungs- und Risikoaufklärungsprojekte in aller Welt; im Zentrum stehen dabei vor allem vergessene Minenfelder in ehemaligen Kriegsgebieten. DIGGER reagiert als gemeinnützige Stiftung mit den ihr zur Verfügung stehenden technologischen Mitteln auf die spezifischen Bedürfnisse der Minenräumer und unterstützt die Mittelbeschaffung. Die Urs Endress Stiftung hat es sich zum Ziel gesetzt, durch ausgeklügelte Technologie die Minenräumungsprozesse zu optimieren und deren Effizienz zu steigern; dies geschieht insbesondere durch den Einsatz von Drohnen.

Vier von fünf HMAC-Partnern sind vor allem im Bereich der Entminung aktiv?

Ja, das ist so. Dieses Verhältnis spiegelt gut wider, welche Bedeutung der Entminung zukommt. Wie aus dem Landmine Report 2022 hervorgeht, stellte die internationale Gemeinschaft 2021 insgesamt 543,5 Millionen US-Dollar für Antiminenaktionen in 42 betroffenen Staaten zur Verfügung – 21,7 Millionen US-Dollar weniger als noch im Jahr zuvor. Was aber vor allem frappiert: Während 58 Prozent der verfügbaren Mittel für die Entminung eingesetzt wurden, entfielen auf die Opferhilfe gerade einmal 5 Prozent. Da liegt ein eklatantes Missverhältnis vor! 

Wenn die Summe an zur Verfügung stehenden Mitteln schrumpft, könnte man vermuten, dass es im Bereich Minen generell weniger zu tun gibt?

Genau das Gegenteil ist der Fall! Auch fünfundzwanzig Jahre nach seinem Inkrafttreten ist der Vertrag über das Verbot von Landminen noch immer einer der am häufigsten ratifizierten Abrüstungsverträge. Die hohe Zahl an zivilen Opfern und der neuerliche Einsatz von Landminen in der Ukraine und in Myanmar zeigen jedoch, dass eine komplett minenfreie Welt in weiter Ferne ist. Während wir dieses Interview führen, kommen in mehr als 60 Ländern und territorialen Gebieten Landminen zum Einsatz. Sie verletzen Zivilisten, zerstören Lebensgrundlagen und unterbrechen den Zugang zu wichtigen Dienstleistungen. Globale Krisen wie die COVID-19-Pandemie, bewaffnete Konflikte und die Kürzung des Gesamtbudgets für humanitäre Hilfe erschweren die Situation zusätzlich. 

Unmittelbar nach der Unterzeichnung des Vertrags ging die Zahl der Opfer von Minen und anderen explosiven Kriegsmunitionsrückständen (ERW) dramatisch zurück. Wie der Landmine Report betont, steigt sie jedoch gerade in den letzten sieben Jahren wieder beunruhigend an: 2021 wurden mindestens 5544 Menschen verletzt oder getötet; bei den meisten der registrierten Opfer handelte es sich um unschuldige Bürger, die Hälfte davon Kinder. 

Halten wir fest: Die Opferzahlen steigen, die zur Verfügung stehenden Mittel sinken und auf den Bereich der Opferhilfe entfällt lediglich ein verschwindend kleiner Anteil?

Exakt so ist es. Die schrumpfenden Mittel für die Opferhilfe sind ein massives Problem. Dem Bericht zufolge gab es 2021 so wenig Mittel für die Opferhilfe wie zuletzt im Jahre 2016. Was die Beseitigung der durch Landminen entstandenen Schäden angeht, hat der Vertrag ein wertvolles Modell geschaffen. Im Hinblick auf die angemessene Unterstützung der Betroffenen ist jedoch noch sehr viel zu tun. 

Hat die Welt die Minenopfer vergessen?

Diesen Eindruck könnte man gewinnen. Im Oslo Action Plan wurde festgehalten, dass sich die internationale Gemeinschaft für die Minenopfer einsetzen muss. Während akribisch verfolgt wird, welche Staaten der Räumungsverpflichtung nachkommen – seit dem Inkrafttreten des Minenverbots 1999 haben nur 30 Vertragspartner ihr vertraglich festgesetztes Soll erfüllt, und während immer neue Einsatzgebiete hinzukommen, geraten die Opfer zusehends in Vergessenheit. Fakt ist, dass in vielen Ländern, die von Landminen betroffen sind, 2021 keine Opferprojekte finanziert werden konnten. In Kambodscha zum Beispiel, wo sich mine-ex stark engagiert, haben die Mittel zuletzt rapide abgenommen. Noch verheerender gestaltete sich die Situation in Afghanistan, dem zweiten grossen Wirkungsbereich von mine-ex. Dort steht das System kurz vor dem Kollaps. 

Auch oder gerade diesem Thema wollt Ihr Euch mit HMAC widmen?

Absolut! Wir verstehen HMAC als eine Plattform, die dem Austausch von Informationen und der Koordinierung von Projekten dient. Unser Ziel ist es, über die humanitäre Minenräumung und die damit verbundenen Risiken aufzuklären; gleichzeitig möchten wir die Minenopfer ins Bewusstsein rücken. Gleichzeitig streben wir den Aufbau eines von Rotary International anerkannten Netzwerks an – damit wir künftig Grants für humanitäre Minenräumung und Opferhilfe von der Rotary Foundation erhalten. 

Wo wir Dich schon an der Strippe haben: Du engagierst Dich nicht nur für HMAC, sondern bist Stiftungsratspräsident von mine-ex. Wird sich mine-ex auch in der Ukraine engagieren?

Ich bin permanent mit den unterschiedlichsten Nichtregierungsorganisationen in Kontakt. Basierend auf den Informationen, die ich dadurch erlange, wird an jeder Sitzung des mine-ex Stiftungsrats wieder neu über die Option Ukraine debattiert. Aktuell haben wir nicht vor, dort tätig zu werden. Es gibt unzählige Institutionen, die Unsummen an Geldern für die Ukraine bereitstellen; dafür wird an anderer Stelle extrem an Mitteln gespart. Gerade Afghanistan und Kambodscha, wo wir seit dreissig Jahren tätig sind, haben darunter immens zu leiden. Wir werden uns daher vorerst weiter dort engagieren.

Lieber Reto, wir danken Dir für dieses Gespräch.

Rotary Humanitarian Mine Action Coalition