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maandag 11 augustus 2025

Denise Lachat

Rot. Nada Sayarh, Gründerin des Rotary-Projekts „Rise up Girls“, engagiert sich leidenschaftlich für Bildung und Nachhaltigkeit. Jungen Frauen – und mittlerweile auch Männern – die Schlüssel zu einer selbstbestimmten Lebensgestaltung an die Hand zu geben, ist ihr ein Herzensanliegen. Dieses Engagement speist sich auch aus ihrer eigenen Lebenserfahrung. Eine Begegnung mit einer Professorin, die sich selbst als «eher rockig» beschreibt und ihre Freiheit, abseits ausgetretener Pfade zu forschen, verteidigt.

Nada Sayarh betritt die riesige Halle der Uni Mail im hellen Tageslicht, das durch die grosse Glaskuppel hereinströmt. Mit den sicheren Schritten von jemandem, der sich hier gut auskennt, führt Nada die Journalistin in den dritten Stock, wo sich die Fakultät für Wirtschaft und Management befindet. Sie hat über fünfzehn Jahre an der Universität Genf gearbeitet. Heute unterrichtet sie Marketing und Nachhaltigkeit an der S P Jain School of Global Management mit den vier Standorten in Dubai, Mumbai, Singapur und Sydney und leitet den Bereich Nachhaltigkeit. Seit drei Jahren lebt sie nun in Dubai. In den Gängen der Uni Mail trifft sie ehemalige Kollegen: Es wird gestrahlt, umarmt, gefragt – «Was machst du denn? Wo bist du jetzt?»

Soft Skills im Zeitalter der KI

Nach der Freude über die unerwarteten Wiedersehen setzen wir uns in einen der Räume, in denen Nada früher ihre Kurse in Management, Marketing und Soft Skills  – sozialen Kompetenzen  – gehalten hat. Nada betont mit Nachdruck, wie wichtig diese Kompetenzen insbesondere im Zeitalter der künstlichen Intelligenz (KI) werden. Sie sagt: «ChatGPT ist heute in der Lage, einen Vertrag zu verfassen, den noch vor kurzem nur ein Anwalt schreiben konnte. Um sich von anderen abzuheben und beruflich weiterzukommen, wird es entscheidend sein, seine sozialen Kompetenzen auszubauen». In der Öffentlichkeit das Worz zu ergreifen, Konflikte zu bewältigen, emotionale Intelligenz zu zeigen: All dies sind ihrer Meinung nach unverzichtbare Eigenschaften, sobald es um den zwischenmenschlichen Austausch geht.

Vor Publikum zu sprechen, sich in den Vordergrund zu stellen: Das sind Fähigkeiten, die Frauen weniger spontan an den Tag legen. Diese Feststellung hat Nadas Engagement während ihrer gesamten Karriere geprägt; sie hat zahlreiche Frauen als Mentorin begleitet. Ihr Ziel? „Ihnen Horizonte zu öffnen”, sagt sie, damit sie in ihrem Privat- und Berufsleben Entscheidungen treffen können – bewusst, ohne Schuldgefühle und im Einklang mit ihrem Potenzial und ihrer eigenen Lebensvision.

Mentalitäten ändern

Denn ob in Genf oder Dubai, Nada stellt überall dasselbe fest: Bei gleicher Qualifikation nutzen Frauen Karrierechancen weniger leicht. Sie geben oft mehr Geld für ihre Kinder aus, übernehmen mehr Verantwortung im Haushalt und unterbrechen ihre Karriere eher. Und wenn Väter sich mehr um ihre Kinder kümmern wollen, stossen sie noch zu oft auf stereotypischen Widerstand. Nada seufzt. „Strukturen zu ändern, wird ein Jahrhundert dauern. Wir sind besser beraten, auf eine Veränderung der Mentalitäten zu setzen.“ Genau das ist der Gedanke hinter „Rise up Girls“, einem Projekt, das sie im Rotary Club Genève International ins Leben gerufen hat und heute über den Rotary E-Club Global Impact 1990 weiterentwickelt. Sie hat den E-Club nach ihrem Umzug nach Dubai mitbegründet und ist aktuell dessen Präsidentin. Das Programm, das durch einen Global Grant von Rotary International unterstützt wird, hat Hunderten von jungen Marokkanerinnen eine Ausbildung unter sicheren Bedingungen ermöglicht. Es hilft ihnen, über ihre Zukunft nachzudenken, Pläne zu schmieden und Mut zu fassen. „Empowerment bedeutet in erster Linie, sich selbst zu erlauben, eine Ausbildung zu absolvieren und grosse Träume zu haben“, betont Nada.

Jugend in Marokko

Dieses Projekt ist auch eine Hommage an ihre eigene Geschichte. Nada wuchs in Marokko in einer Familie von Juristen auf. Ihre Mutter war die erste Frau in ihrer Familie, die ein Hochschulstudium absolvierte. Ein Vorbild, dessen Bedeutung die junge Nada damals jedoch noch nicht erkennen konnte. Ausserhalb ihres Zuhauses prallte sie auf gesellschaftliche Normen: Man warf ihr «männliches Verhalten» vor, obwohl sie einfach nur eine selbstbewusste junge Frau war, die sich nicht damit zufrieden gab, «hübsch zu sein». Nada erinnert sich, dass es nicht leicht war, sich in der eigenen Kultur wie eine «Aussenseiterin» zu fühlen. Mit sechzehn schickten ihre Eltern sie in ein Sommercamp in Russland. Das war wie eine Offenbarung für sie. Dort traf sie junge Menschen aus aller Welt, entdeckte andere Denkweisen und öffnete sich der Vielfalt. „Das hat mich befreit und mir neue Horizonte eröffnet”, sagt sie. Sie entschied sich, ihre Ausbildung in einem flexibleren nordamerikanischen System fortzusetzen. Vorbilder selbstbewusster Frauen hatte sie ebenfalls in amerikanischen Filmen entdeckt. Nada lächelt: „Ich bin eher rockig und erkunde gerne Dinge abseits des Mainstreams.“ Es ist daher kein Zufall, dass ihre Doktorarbeit sich mit einem wenig beachteten Thema befasste: „Die Stigmatisierung und Marginalisierung des übergewichtigen weiblichen Körpers in der Frankophonie“.

Chancengleichheit

Allerdings: So selbstbewusst und „rockig“ sie auch sein mag, die Professorin geht den Weg des Wandels mit Behutsamkeit. Sie bekräftigt, dass sie nicht frontal gegen ein System vorgehen will, sondern einen harmonischen Ansatz bevorzugt, der letztlich Wahlfreiheit ermöglicht. Die Entscheidung, ob man heiraten will oder nicht, ob man arbeiten will oder nicht, ob man Kinder haben will oder nicht. Wichtig ist ihr, dass junge Frauen befähigt werden, ihre Entscheidungen zu verteidigen, ohne sie Konflikten mit ihren Familien auszusetzen. In diesem Sinne öffnet sich Rise up Girls nun auch für Jungen und wird zu „Rise up Girls and Boys”, um mehr Chancengleichheit zu erreichen. In Indien ist eine neue Variante in Vorbereitung: „Rise up Girls and Boys and the S P Jain AI-Tutor”. Sie fokussiert sich auf die Ausbildung von Jugendlichen aus benachteiligten Verhältnissen mithilfe eines Tutors für künstliche Intelligenz und die Bereitstellung von Tablets für Schulen in ländlichen Gebieten. Nada ist überzeugt, dass „KI ein hervorragendes Bildungsinstrument für die Ärmsten sein kann. Es gibt heute so viele kostenlose Angebote!“

Risikobereitschaft

In Dubai unterrichtet Nada in einem sehr kosmopolitischen Umfeld, viele ihrer Studenten stammen aus Indien. Deren Ehrgeiz beeindruckt sie. «Sie sind bereit, zehn Stunden am Tag zu arbeiten, um ihr Ziel zu erreichen. Das macht mir ein wenig Sorgen für Europa und insbesondere für die Schweiz», gesteht sie. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen junge Europäer ihrer Meinung nach die Bereitschaft zum Risiko der schnellen Anpassung fördern und lernen, auch mal zu scheitern, ohne Angst zu haben. Ihr eigener Umzug in die Emirate mit Mann und Kindern war ebenfalls ein solches Wagnis. Aber sie bereut es nicht. Neben der Sonne ist es die Wachstumsdynamik des Landes, die sie anspornt, sowohl auf wirtschaftlicher als auch auf akademischer Ebene. Sie ist begeistert. «Es gibt so viel zu entwickeln und so viele Möglichkeiten, etwas zu bewegen, dass mir das Adrenalin in die Adern schiesst!»

Bevor sie nach Dubai zurückkehrt, verbringt Nada noch einige Wochen in der Schweiz. Am Tag nach unserem Treffen an der Uni Mail wird sie an der Generalversammlung des Rotary-Distrikts 1990 erwartet, um die nächsten Schritte von «Rise up Girls and Boys» in Marokko und Indien vorzustellen. Ihr Engagement wird gewürdigt und belohnt: Dem marokkanischen Projekt wird für das Jahr 2025–2026 ein District Grant in Höhe von 7500 Franken bewilligt.

Rot. Nada Sayarh im Atrium der Uni Mail in Genf, wo sie während 15 Jahren unterrichtet hat. Heute lebt sie in Dubaï