Rot. Alois Grichting, PDG des Distrikts 1990 von 2002/03 und Mitglied des RC Brig, hat als junger Mann ein zentrales unverhofftes «Zufallsglück» erlebt, das fortan Richtung und Sinn seines Lebens bestimmte: Der Ortspfarrer schlug dem Sohn eines Fabrikarbeiters mit elf Kindern 1946 vor, das klassische Gymnasium zu besuchen. Heute blickt der Walliser, der im Mai dieses Jahres seinen 90. Geburtstag gefeiert hat, dankbar auf ein Leben mit vielen Bereichen im «Dauerglück» zurück.
Alois Grichting, wie definieren Sie Glück?
Mit «Glück», einst mittelhochdeutsch «gelücke», englisch «luck», niederländisch «ghelucke», sind heute zwei Aspekte angesprochen: erstens ein positives Zufallsereignis oder «Zufallsglück», das für uns mit oft nicht gekannter mathematischer Wahrscheinlichkeit eintrifft, und zweitens ein positives Gefühl, ein seelisches Erfülltsein, das «Dauerglück», das eintritt, wenn sich etwas Angenehmes, Aufbauendes, geistig oder auch materiell Bereicherndes und Anerkennendes eingestellt hat.
Was bedeutet Glück für Sie persönlich?
Das Zufallsglück – denken wir ans Würfelspiel – ist mit grosser Unsicherheit behaftet. Wir können uns freuen, wenn es eintrifft, dürfen aber nicht glauben, dieses Glück bleibe uns auch weiter treu. Auch das Dauerglück, das grosse Gefühlsmomente, seelische und persönliche Bestätigung und Wertschätzung bringt, ist gefährdet. Es kann, um ein modernes Wort zu gebrauchen, «nicht nachhaltig» und gar flüchtig sein. Das berühmte Wort «Verweile doch, du bist so schön!» lässt nach «Faust» durchblicken, dass das «Verweilen des Glückes» befristet sein kann. In Glücksphasen erfahren wir aber Werte, die uns persönlich sehr viel bedeuten, aus denen wir erkennen, dass sie uns «Sinn» vermitteln, uns stärken, für die Bewältigung unseres Lebens sinnvolle Impulse und Zustände enthalten. Statt einem überraschenden, unsicheren, von Mainstream und Boulevard hochgejubelten Glück nachzujagen, ist es besser, in unserem Tun und Denken den Sinn zu suchen, unseren Lebenssinn zu erkennen und zu erstreben. In Glücksphasen leuchtet dieser Sinn auch als Ziel auf. Sinnlosigkeit und Leere usw. sind Gegner des Glücks und brennen uns aus (Burnout). Wir sind dann glücklos.
Muss man sich Glück erarbeiten oder passiert es einfach?
Beides ist möglich. Das durch einen Zufallsprozess erhaltene Glück, Zufallsglück, passiert einfach. Eine Vorarbeit dazu gibt es kaum. Für die zweite Art Glück, das Dauerglück, ist aber auch nach allgemeiner Auffassung «jeder seines Glückes Schmied». Das heisst, dass die Summe der von jedem Menschen vor einem Ereignis getätigten Handlungen eine Lage schafft, aus der Glück und Unglück entstehen können. Im Unterschied zum erstgenannten, reinen Zufallsglück, hat das von jedem Menschen geschaffene Vorfeld des Ereignisses der zweiten Glücksart, des dauernden Hochgefühls (Dauerglück), Einfluss auf das Ergebnis. Ein gut erarbeitetes Vorfeld kann eher Glück verschaffen als ein vernachlässigtes. In diesem Sinne kann man sich Glück erarbeiten. Natürlich ist auch eine positive Vorarbeit nicht absolut wirksam. Auch sie kann aus irgendwelchen Gründen unverhofft wirkungslos bleiben. Das Glück bleibt dann aus: Unglück! Man sollte aber nicht vergessen, dass gerade grosse Leistungen der Menschheit in Kunst, Wissenschaft usw. von Unglücklichen, aus dem Unglück heraus erbracht worden sind: Mozart soll mit Fusstritten aus seiner Stellung in Salzburg verabschiedet worden sein; Bach schuf sein Riesenwerk als geplagter Schulmeister des Gymnasiums St. Thomas in Leipzig; Chopin schrieb Musik als an Tuberkulose erkrankter Mann. Man darf auch nicht übersehen, dass Millionen von Menschen zu allen Zeiten, auch heute, in so gearteter Unterdrückung lebten bzw. leben, dass sie überhaupt nicht dazu kommen, das erwähnte Vorfeld des Glückes richtig und erfolgversprechend zu bearbeiten – leider!
Gibt es Faktoren, die Glück begünstigen?
Es wurde bereits gesagt, dass das Zufallsglück kaum der Vorbereitung bedarf. Beim Lotto beispielsweise müssten, um sicher zu gewinnen, sämtliche Eingabemöglichkeiten angekreuzt werden, was kaum jemand macht. Bei dieser Art Glück gibt es trotz verschiedener Strategien kluger Köpfe wenig sinnvolle Vorbereitungsfaktoren. Beim zweitgenannten «Dauerglück Wonnegefühl» können die Anstrengungen im Vorfeld, wie gesagt, Einfluss haben. Dazu gehören, auf die heutige Lage in Westeuropa bezogen, unter anderem folgende Faktoren: die Pflege körperlicher und seelischer Gesundheit, Selbstbestimmung in Freiheit, Pflege des sozialen Umfeldes und ein die Arbeit entgeltendes Einkommen. Die Möglichkeiten der Gesundheitspflege und der freiheitlich demokratischen rechtlichen Struktur des Staates, der Wirtschaft und der Institutionen, und die Kontakte zum sozialen Umfeld in Familie, Vereinen, Freundschaften usw. zu nutzen, sind grundlegende Voraussetzungen eines geglückten Lebens. In all diesen Bereichen sieht die Höhe der Ansprüche für jedermann wohl sehr verschieden aus. Die «Glücke» haben, wenn sie eintreten, sozusagen verschiedenes Niveau. Dies gilt vor allem beim Entgelt für die geleistete Arbeit, das den öffentlichen Diskurs immer wieder beschäftigt. Leider sind wir nicht alle Asketen, deren materieller Anspruch bei null liegt. Schon unsere Pflichten gegenüber unserem gesamten sozialen Umfeld verhindern dies.
Teilen Sie einige der grossen oder kleinen Glücksmomente, die Ihr Leben geprägt haben, mit uns?
In meinem Leben gab es viele mich berührende glückliche Ereignisse. Zu ihnen gehört, dass meine Frau mir Nachkommen schenkte, dass ich trotz schlechter mathematischer Gymnasial-Vorbildung an der ETH Zürich diplomieren, an der Universität Freiburg über «Economies of scale» promovieren, 33 Jahre die gymnasiale Oberwalliser Jugend unterrichten, die rotarische Freundschaft 50 Jahre im RC Brig und in einer Amtsdauer im Distrikt 1990 als Governor leben und fördern konnte, der kantonalen kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Öffentlichkeit des Oberwallis in den Medien Print und Radio und als Buchautor in Mundart, Geschichte, Musik und allgemeiner Kultur dienen und dass ich gerade 90 Jahre alt werden durfte. Zentrales unverhofftes Zufallsglück in meinem Leben war es, dass ein einfacher Ortspfarrer mir, einem Sohn eines Fabrikarbeiters mit elf Kindern, im Jahre 1946 vorschlug, das klassische Gymnasium zu besuchen und mir dann auch materiell während Jahren weiterhalf. Dieses Zufallsglück, das ein Dauerglück wurde, hat Richtung und Sinn meines Lebens bestimmt.