Mit 27 Jahren forscht Nasriya Witt an einer der drängendsten Schnittstellen unserer Zeit: psychische Gesundheit und Umweltfaktoren. Ihre Masterarbeit in Zürich wäre ohne die Unterstützung von Rotary und zwei engagierten Rotarierinnen nicht möglich gewesen – ein Porträt über weibliche Entschlossenheit und die Kraft gezielter Förderung.
Es war heiss in Texas, als Nasriya zum ersten Mal in ein Leben hineinschaute, das ganz anders war als ihr eigenes. Mit vierzehn half sie in einem Sommercamp für Kinder mit Behinderungen. Ein nonverbales Mädchen berührte sie besonders – durch Gesten, Blicke, Präsenz. Dieses Erlebnis veränderte etwas in Nasriya. «Ich wollte verstehen», sagt die junge Frau heute. «Und ich wollte helfen.»
Es war der erste Schritt einer Reise, die sie bis an die Universität Zürich führen sollte. Heute, mit 27 Jahren, schreibt Nasriya Witt ihre Masterarbeit über Umweltfaktoren, die mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) in Verbindung gebracht werden. Unterstützt wird sie dabei durch einen Global Grant von Rotary – und durch zwei Rotarierinnen, die zu wichtigen Wegbegleiterinnen wurden.
Der Weg war nicht vorgezeichnet. Und er war auch nicht immer leicht. Doch Nasriya vereint, was so viele junge Frauen auf der Welt antreibt: Neugier, Entschlossenheit und eine tiefe Sehnsucht, etwas zu bewirken. Während der Pandemie engagierte sie sich bei der grössten staatlich geförderten Resettlement-Agentur in San Antonio, Texas. Dort erlebte sie hautnah, was es bedeutet, wenn Bildung, Gesundheitsversorgung oder psychologische Betreuung fehlen – und wie sehr insbesondere Mädchen und Frauen darunter leiden.
Die Idee für ihre Masterarbeit entstand genau hier: an der Schnittstelle zwischen Psychologie und sozialer Ungleichheit. Welche Rolle spielen Stress, Migration oder Schwangerschaftskomplikationen, bei der Enstehung von Autismus?
«Man kann keine Lösungen entwickeln, wenn man nicht weiss, was die Menschen wirklich brauchen», ist Nasriya überzeugt. Ihr Forschungsprojekt zielt darauf ab, das Unsichtbare sichtbar zu machen – auch im wissenschaftlichen Diskurs. Dass sie dabei selbst zur Grenzgängerin wird – zwischen Disziplinen, Sprachen, Kulturen – sieht sie nicht als Belastung, sondern als Stärke. «Gerade weil ich vieles nicht von Anfang an wusste, bin ich gezwungen, genau hinzuschauen.»
Dazu gehört auch, finanzielle Hürden zu überwinden. Dass sie durch Rotary ein Stipendium bekam, war für sie ein Glücksfall – und zugleich ein Beweis dafür, was möglich ist, wenn Menschen an einen glauben. Zwei Frauen spielten dabei eine zentrale Rolle: Jane Burton vom RC Fair Oaks Ranch in Texas, die sie als Mentorin durch das komplexe Bewerbungsverfahren begleitete. Und Ruth Amstein vom RC Au am Zürichsee, die sie in der Schweiz herzlich empfing, bei der Wohnungssuche half und ihr auch persönlich zur Seite steht.
Rotary als Möglichmacher
Dass Rotary sich weltweit für Bildung, Chancengleichheit und Gesundheit engagiert, war Nasriya bewusst – aber erst durch die persönliche Unterstützung von Jane und Ruth wurde diese Philosophie für sie greifbar. «Sie waren da, mit Rat und Tat, aber auch mit Herz», sagt sie. Der Global Grant, den sie erhielt, fällt unter den Schwerpunktbereich «Disease Prevention and Treatment». Doch er bedeutet mehr als nur finanzielle Hilfe. Er ist Anerkennung, Rückenwind, Wertschätzung. Und: ein Türöffner.
Denn ihre Forschung am Psychologischen Institut der Universität Zürich findet nicht im luftleeren Raum statt. Hier, in einem internationalen Team unter der Leitung von Professor Dr. Langer, arbeitet Nasriya eng mit Wissenschaftlerinnen wie der Post-Doktorandin Dorothea Floris zusammen, die sich bereits seit Jahren mit Autismus beschäftigt. In diesem Umfeld fühlt sie sich nicht nur gefördert, sondern auch gefordert – und zwar im besten Sinne: «Ich wachse hier als Forscherin, aber auch als Mensch.»
Nasriyas Geschichte zeigt exemplarisch, was Empowerment wirklich bedeutet: Es ist ein Zusammenspiel von innerer Haltung und äusserer Unterstützung. Es geht um das Erkennen von Potenzial und das Bereitstellen von Ressourcen, um es zu entfalten. Bildung, Netzwerke, Sichtbarkeit – all das sind Schlüssel.
Gerade für Mädchen und Frauen, deren Lebensumstände von Migration, Fluchterfahrung oder sozialer Benachteiligung geprägt sind, ist dieser Rückhalt entscheidend. Laut Angaben der Vereinten Nationn besuchen 15 Millionen Mädchen im Grundschulalter keine Schule, das sind fünf Millionen mehr als bei gleichaltrigen Jungen. Und obwohl Bildung nachweislich die Lebensqualität erhöht, bleibt sie für viele junge Frauen unerreichbar – sei es aus ökonomischen, kulturellen oder strukturellen Gründen.
Eine junge Frau, die ihre Ausbildung abbricht, weil sie sich um die Familie kümmern muss. Oder Wissenschaftlerinnen, deren Studien seltener zitiert werden als die ihrer männlichen Kollegen – Empowerment ist nicht nur eine Frage des Wollens, sondern des Könnens. Und genau da setzt Unterstützung wie die von Rotary an.
Indem Nasriya sich wissenschaftlich mit Autismus beschäftigt, gibt sie auch denjenigen eine Stimme, die oft nicht gehört werden – sei es aufgrund sprachlicher, neurologischer oder kultureller Barrieren. Ihre Perspektive ist dabei nicht nur akademisch, sondern zutiefst menschlich: «Ich wünsche mir, dass Kinder mit Autismus, egal woher sie kommen, dieselbe Aufmerksamkeit und Unterstützung erhalten wie alle anderen. Dass ihre Andersartigkeit nicht als Mangel gesehen wird, sondern als Teil ihrer Persönlichkeit.»
Ihre Forschung ist dabei mehr als ein Beitrag zur Wissenschaft – sie ist ein Beitrag zu einer gerechteren Gesellschaft. Denn Studien zeigen: Frühzeitige Diagnosen verbessern die Lebensqualität von Kindern mit Autismus signifikant, doch Kinder aus migrantischen oder ökonomisch schwachen Familien erhalten sie oft zu spät oder gar nicht. Sprachbarrieren, kulturelle Missverständnisse, Vorurteile – sie alle erschweren den Zugang. Nasriyas Arbeit will genau hier ansetzen: erklären, aufklären, Zugänge schaffen.
Auch im digitalen Raum werden neue Wege für Empowerment geschaffen. Programme wie «African Girls Can CODE» oder «Women-gov» zeigen, wie wichtig es ist, Mädchen gezielt mit digitalen Kompetenzen auszustatten – damit sie sich einbringen, ihre Rechte wahrnehmen und eigene Wege gehen können. In Indien etwa haben Frauenselbsthilfegruppen mit Internetzugang gelernt, staatliche Unterstützung direkt zu beantragen und auf diese Weise mehr Autonomie und Einfluss gewonnen. In Nigeria wiederum ermöglichte Coding-Unterricht einem 15-jährigen Mädchen den Einstieg in eine IT-Karriere.
Solche Projekte zeigen, wie Female Empowerment in der Praxis funktioniert: nicht durch schöne Worte, sondern durch reale Chancen. Und genau das tut Rotary mit Programmen wie dem Global Grant – weltweit, langfristig und auf Augenhöhe.
Mut, Vorbilder, Möglichkeiten
Es sind junge Frauen wie Nasriya Witt, die zeigen, wie viel in Bewegung geraten kann, wenn Begabung auf Förderung trifft. Und wenn Empowerment nicht nur in Strategiepapieren steht, sondern gelebt wird. Frauen wie Ruth Amstein und Jane Burton, die den Weg ebnen. Netzwerke wie Rotary – und Geschichten, die Mut machen.