Wenn man an «Tiere» und «Rotarier» denkt, dann kommt einem sofort Brigitte Post in den Sinn, Mitglied im RC Zürich-Dietikon. Wir haben mit der engagierten Tierschützerin gesprochen.
Liebe Brigitte, Du hast 2012 die Stiftung Tierbotschafter gegründet. Was hat Dich damals dazu veranlasst, Dich im Tierschutz zu engagieren?
Brigitte Post: Ich war fünfzig, hatte als selbstständige Kommunikationsfachfrau verschiedene Mandate im sozialen Bereich und das Gefühl, etwas verändern zu wollen – vor allem im Hinblick auf Tiere. Das Elend, das da mitunter herrscht, lag mir schon lange im Magen; andererseits waren mir die Gier und Ignoranz der Menschen zuwider. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee zur «Stiftung Tierbotschafter». Wir wollen mit unserem Engagement vor allem Einzelkämpfer und deren Kastrationsprogramme unterstützen, um die Zahl der Streunertiere zu reduzieren. Nicht zuletzt war es mir als PR-Profi ein Anliegen, das Bewusstsein für den respektvollen Umgang mit Tieren zu schärfen.
Das Streunerproblem ist rund um den Globus ein Thema. Wie geht die Stiftung vor, um nachhaltige Lösungen zu finden?
Ja, das Streunerproblem ist riesig, und die Dimensionen sind oft schwer zu fassen. Laut der World Health Organization (WHO) gibt es weltweit rund 200 Millionen streunender Hunde. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Hinzu kommen Millionen von Katzen, die oft vergessen werden und in den Statistiken gar nicht erst auftauchen. In vielen Ländern versuchen die Behörden, das Problem durch Massentötungen zu lösen, aber das verschlimmert die Situation langfristig nur. Tiere werden vergiftet, erschossen oder auf grausame Art getötet, ohne dass man die Ursachen angeht. Das führt dann dazu, dass der sogenannte «Holding-Capacity»-Effekt eintritt: Er beschreibt das Fassungsvermögen eines Reviers. Es bleiben immer Ressourcen wie Nahrung und Platz übrig, wodurch sich die verbleibenden Tiere schnell vermehren und Tiere aus anderen Revieren einwandern und die freien Plätze wieder besetzen. So beginnt das Problem immer wieder von vorne!
Unsere Stiftung verfolgt daher einen komplett anderen, nachhaltigen Ansatz. Wir setzen auf das «Trap, Neuter, Vaccinate & Return»-Programm, kurz: TNV&R. Das heisst, wir fangen die Tiere ein, lassen sie kastrieren, impfen und bringen sie wieder in ihre gewohnten Reviere zurück. Sie können dort gesünder und stressfreier weiterleben, ohne sich unkontrolliert zu vermehren, und sie verteidigen ihre Reviere auf natürliche Art als Platzhalter. Es hat sich gezeigt, dass dies die einzig wirklich nachhaltige Lösung ist, um die Streunerpopulationen und auch Seuchen wie Tollwut langfristig in der Griff zu kriegen.
Dann habt Ihr mit dieser Methode Erfolg?
Ja, auf jeden Fall. Effektiv ist das der einzige erfolgsversprechende und finanzierbare Lösungsansatz. Auch die WHO empfiehlt TNV&R. Studien zufolge hat sich die Anzahl der Streunerhunde innerhalb von zehn Jahren um 80 Prozent reduziert; damit ist TNV&R auch die erfolgreichste Strategie bei der Tollwutbekämpfung. Die kastrierten und geimpften Tiere verhindern, dass neue ungeimpfte Tiere einwandern. Gleichzeitig beobachten wir, dass es in den Regionen, wo seit Jahren kastriert wird, deutlich weniger Tierleid auf den Strassen herrscht. Solche Erfolge treiben uns an, diesen Ansatz weiter zu verfolgen und fördern. Mit der Stiftung Tierbotschafter konnten wir in den vergangenen zwölf Jahren mehr als 20000 Hunde und Katzen kastrieren. Doch seien wir ehrlich: Auch wenn die Zahl noch so beeindruckend klingt – global betrachtet, ist unsere Arbeit ein Tropfen auf den heissen Stein.
Was sind die Hindernisse?
Solche Programme müssen konsequent umgesetzt werden, und sie müssen langfristig laufen. Ausserdem ist es unerlässlich, dass die lokalen Behörden involviert sind und dahinterstehen – oder dass sie die Programme zumindest tolerieren. Ebenso wichtig sind Begleitmassnahmen wie Schulungen und die Aufklärung der Bevölkerung. Das ist in vielen Ländern enorm schwierig umzusetzen. Auch Themen wie Abfallbewirtschaftung sind elementar. Wir wissen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Müll auf der Strasse und der Anzahl der Streuner besteht. Je mehr Futter im Abfall zu finden ist, desto mehr ungewollter Nachwuchs wird produziert.
Es gibt unzählige Länder, in denen dringend mehr getan werden müsste. Rumänien ist eines dieser Länder. Gleiches gilt für Marokko, wo Hunderttausende Strassenhunde ein schwieriges Leben führen. Dort wird das Problem seit Jahrzehnten mit Tötungen «bekämpft» – aber gelöst hat man damit nichts. Wir sehen unsere Aufgabe darin, vor Ort mit Partnern und lokalen Tierschützern zu arbeiten, um Menschen zu zeigen, dass Kastrationen der einzige Weg sind, um Tierleid langfristig zu verhindern.
Dann ist Aufklärung ein zentraler Aspekt Eurer Arbeit?
Die Kastration allein reicht nicht aus, wenn die Menschen nicht verstehen, warum sie wichtig ist. Viele sehen Streunertiere als Problem an, das einfach «weg muss». Doch wenn man das Problem von Grund auf angeht, also durch Bildung und Sensibilisierung, können wir das Bewusstsein schärfen, dass Tiere keine Plage, sondern Lebewesen sind, die Respekt und Fürsorge verdienen. Dabei ist Aufklärung ein Schlüssel. In vielen Ländern müsste ein kultureller Wandel stattfinden. Aber offen gesagt: Das ist extrem schwierig. Die «Alten» bewegen sich oft nicht mehr, deshalb müssen wir bei Kindern und jungen Menschen ansetzen.
Wenn man Dich so reden hört, dann merkt man das förmlich: Du hast eine beeindruckende Karriere in Marketing und Kommunikation hinter Dir. Wie haben Dir diese Erfahrungen bei der Gründung der Stiftung geholfen?
Oh, das war definitiv hilfreich! In der PR- und Werbewelt geht es darum, Geschichten zu erzählen und Menschen zu begeistern – das ist auch im Tierschutz enorm wichtig. Tiere haben keine Stimme, und es ist unsere Aufgabe, für sie zu sprechen. Meine Arbeit bei grossen Unternehmen wie PKZ und Bucherer hat mich gelehrt, wie man Botschaften effektiv vermittelt, wie man Netzwerke aufbaut und Projekte erfolgreich durchführt. Diese Skills waren sehr wertvoll, um dieStiftung Tierbotschafter von Grund auf aufzubauen.
Ich hatte als selbstständige Kommunikationsfachfrau einige Mandate im sozialen Bereich und betreute rund zehn Jahre lang erfolgreich die Stiftung Kinderhilfe Sternschnuppe in Sachen PR, Kommunikation und Fundraising. Ich dachte, ich sei gut gerüstet, aber weil gefehlt! Fundraising für Tiere im Ausland ist etwas vom Anspruchsvollsten, das mir bisher untergekommen ist.
Du hast neben Deiner Arbeit im Tierschutz auch eine Leidenschaft für Textilkunst. Wie passt das zusammen?
(lacht) Ja, das ist eine etwas ungewöhnliche Kombination, nicht wahr? Ich habe eine Lehre als Damenschneiderin absolviert und mich später nebst meiner beruflichen Laufbahn auf textile Kunst spezialisiert. Seit 1994 habe ich mein eigenes Atelier, in dem ich vor allem Seidenkunstwerke schaffe. Für mich ist das eine Form des kreativen Ausdrucks und der Entspannung. Die Arbeit mit Tieren und Kunst sind beides Wege, wie ich meine Leidenschaft und meine Werte in die Welt hinaustrage.
In der Schweiz ist das Thema Tierschutz tief in der Gesellschaft verankert. Herausforderungen gibt es aber trotzdem. Ein Thema, das Dich beschäftigt, ist die Haltung von Nutz- und Haustieren, richtig?
Ja, absolut. Die Schweiz hat im Vergleich zu vielen anderen Ländern tatsächlich sehr hohe Tierschutzstandards, und darauf können wir stolz sein. Aber das bedeutet nicht, dass alles perfekt läuft. Gerade in der Massentierhaltung gibt es immer noch gravierende Missstände, die uns zu denken geben sollten. Zum Beispiel leben viele Nutztiere auf viel zu engem Raum, ohne Zugang zu Freiflächen, und das trotz unserer strengen Richtlinien. Selbst in einem fortschrittlichen Land wie der Schweiz stossen wir immer wieder auf Fälle, in denen Tiere nicht artgerecht gehalten werden – ob das nun Schweine, Hühner oder Rinder betrifft. Laut Studien leben weltweit etwa 80 Prozent der Nutztiere in Massentierhaltung. Zwar liegt die Schweiz etwas darunter, aber auch hier gibt es Handlungsbedarf.
Und ja, da mache ich wieder den Bogen zur Kommunikation: Wenn uns in der Werbung Kühe begegnen, dann tragen sie in der Regel schöne, stattliche Hörner. Jeder, der sich nur ein bisschen mit Tierschutz auskennt, weiss aber: Dieses Bild hat nichts mit der Realität zu tun. In Wahrheit werden bis zum heutigen Tage rund 80 Prozent aller in der Schweiz lebenden Kühe enthornt. Ganz ähnlich sieht es beim Poulet aus. Wo man hinschaut, gackern glückliche Hühner über sattgrüne Wiesen. Fakt ist: Die wenigsten Hühner, die beim Grossverteiler in den Kühlregalen landen, haben in ihrem Leben je eine Wiese gesehen. Man gaukelt uns Verbrauchern etwas vor – jeden Tag aufs Neue.
Was sind aus Deiner Sicht die grössten Herausforderungen?
Entgegen einer weit verbreiteten Annahme besteht hierzulande ein massives Streunerproblem. In der Schweiz leben zwischen 100000 und 300000 herrenlose Katzen. Eine der Hauptursachen hierfür liegt darin, dass zu viele Freigänger-Katzen nicht kastriert sind. Gemeinsam mit herrenlosen unkastrierten Tieren sorgen sie beständig für weiteren Nachwuchs. Vermehren sich Katzen übermässig, bilden sich schnell grosse Kolonien auf engem Raum, was zu Hygieneproblemen und zur Ausbreitung von Krankheiten führt. Viele Tiere sterben qualvoll, weil sie keine medizinische Versorgung erhalten oder nicht ausreichend Nahrung finden.
Die unkontrollierte Vermehrung von Katzen führt jedoch nicht nur zu einem Anwachsen der Streunerpopulation, sondern auch dazu, dass jedes Jahr unzählige ungewollte Jungtiere in Tierheime abgeschoben, ausgesetzt oder umgerbracht werden.
Aus diesen Gründen ist die Haltung unkastrierter Katzen mit Freilauf höchst problematisch. Eine verhältnismässige und nachhaltige Massnahme, um einen weiteren Anstieg der Streunerpopulation zu vermeiden wäre daher die Einführung einer Kastrationspflicht für Freigänger-Katzen.
Für mich ist es nicht nachvollziehbar, wieso sich unser Parlament nach der entsprechenden Petition 2018 gegen eine solche Kastrationspflicht ausgesprochen hat. Es ist unverständlich, wieso weder Bund noch Kantone es schaffen, griffige Massnahmen diesbezüglich einzuführen. Andere Länder wie beispielsweise Deutschland machen es erfolgreich vor.
Was sind die nächsten Ziele für die Stiftung Tierbotschafter?
Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht, aber wir stehen vor vielen weiteren Herausforderungen. Tierschutzarbeit ist anstrengend; sie basiert in der Regel auf ehrenamtlichem Engagement. Die Tierschützer vor Ort, meist ausgewanderte Schweizer oder Deutsche, die wir unterstützen, sind alle am Anschlag. Sie machen das alles ehrenamtlich, und das Tierleid ist endlos. Die Folge ist ein Teufelskreis. Diejenigen, die sich eh schon nach Kräften für Tiere einsetzen, werden laufend mit neuen Tieren «beglückt». Man bringt ihnen kistenweise ungewollten Nachwuchs ins Haus – bis sie irgendwann einfach nicht mehr können. Diese Menschen bei ihrem wichtigen Tun zu unterstützen, ist eine unserer wichtigsten Aufgaben.
Wie finanziert Ihr Eurer Engagement?
Ich habe die Stiftung mit eigenem Geld gegründet. Um sie am Laufen zu halten, sind wir auf Spenden angewiesen. Bis heute haben wir es zum Glück immer geschafft, die nötigen Mittel für unser Engagement zu generieren. Pro Jahr fliessen rund 100000 Franken in die unterschiedlichen Projekte, wobei etwa 80 Prozent davon auf die Kastrationen nach TNV&R entfallen. Es war aber auch schon doppelt so viel. Leider ist der Wind rauer geworden, und auch wir spüren den Spendenrückgang seit Beginn des Ukrainekriegs. Was erschwerend hinzukommt, ist meine eigene Situation. Seit meiner Long Covid-Erkrankung kann ich persönlich nicht mehr so viel leisten, wie ich gerne möchte und sollte. Deshalb fokussieren wir uns mit den Mitteln und der zur Verfügung stehenden Energie auf die Nachhaltigkeit bestehender Projekte.
Gibt es ein besonders bewegendes Erlebnis aus Deiner Tierschutzarbeit, das Dir im Gedächtnis geblieben ist?
Aus gesundheitlichen Gründen war ich zuletzt weniger unterwegs. Doch die letzte Reise nach Marokko, wo ich unser Hauptprogramm und die Tierschützerin Michèle besuchen durfte, war mehr als eindrücklich. Auf der einen Seite verzaubern einen die Bilder wie aus 1001 Nacht, auf der anderen Seite raubt einem die Situation der Strassentiere den Schlaf. Während wir uns auf Michèles Farm in geschützter, fast idyllischer Umgebung wussten, wurden in Marokko Strassenhunde vergiftet, Katzen im Müll entsorgt und ausgediente Arbeitstiere zum Sterben ausgesetzt. Das Einzige, was wir in dieser schwierigen Situation tun können, ist die Tierschützer vor Ort unterstützen. Genau das treibt uns an.
Und ja, es gibt sie, die grossartigen, erfüllenden Momente. Ich werde nie vergessen, wie wir in Taghazout, einem kleinen Fischerdorf rund zwanzig Kilometer nördlich von Agadir, einem Streuner begegneten, den wir Jahre zuvor kastriert und geimpft hatten. Er war vergnügt und tollte sich zufrieden am Strand. Solche Begegnungen sind das Schönste! Sie erfüllen mich mit Kraft und einer tiefen Zufriedenheit.
Vielen Dank für dieses inspirierende Gespräch, liebe Brigitte. Eure Arbeit ist wirklich beeindruckend, und wir wünschen Dir und der Stiftung Tierbotschafter weiterhin viel Erfolg!